Freitag, 1. Mai 2020

Isolation, Tag 37 bis 45: Corona nervt

„Und was machst du so?“ fragen wir uns und wir teilen unsere Erfahrungen über Messenger, auf Blogs, in Podcasts, in Videos, … Und oft fragen wir uns auch „Wie geht’s (dir)?“

Ich mag die Frage nicht besonders. In unserer alltäglichen Kommunikation wird sie aus meiner Sicht viel zu inflationär gebraucht. Und mindestens genauso inflationär beantworten wir sie mit „Gut.“ Das nimmt der Sache ein Stück weit ihre Bedeutsamkeit, was eigentlich schade ist, denn grundsätzlich ist am Erkundigen nach dem Wohlbefinden des Gesprächspartners ja nichts verwerflich. Im Gegenteil. Varianten wie „Wie fühlst du dich?“, „Was beschäftigt dich?“ oder „Wie geht es dir mit …?“ können Abhilfe schaffen, lösen aber auch gern mal die ein oder andere Irritation beim Gegenüber aus.

In den letzten Wochen hat sich meine Einstellung zur Frage „Wie geht’s (dir)?“ verändert. Es kommt mir vor, als würde sie weniger einfach so dahingesagt. Man nimmt die Frage wieder ernst, denke ich. Und antworte nun selbst inflationär häufig mit „Gut.“ Viel häufiger, als ich das sonst so zu tun pflegte.

Dabei geht es mir gar nicht besser als sonst, im Gegenteil. Die Situation bereitet auch mir große Sorgen, wobei die anfänglichen Sorgen um unsere Gesundheit und unser Gesundheitssystem mehr und mehr den Sorgen um allgemeine gesellschaftliche und vor allem ökonomische Auswirkungen der Krise gewichen ist. Was sich verändert hat, ist mein Referenzrahmen beim Beurteilen meiner Lage und meines Wohlbefindens.

Ich sehe, wie viele Menschen durch Corona in echte existentielle Not geraten, und fühle mich selbst unheimlich privilegiert. „Womit habe ich das verdient?“, frage ich mich und denke, „Die Welt ist einfach nicht gerecht.“ Ich kann von Zuhause aus arbeiten, muss mir keine Sorgen um meine Gehaltsfortzahlung und das Decken meiner laufenden Kosten machen, ich muss keine Schulkinder betreuen und keine KiTa-Kinder bei Laune halten, ich bin gesund, Freunde und Familie sind es ebenfalls. Ich habe alles, was ich zum Leben brauche – und noch so viel mehr.

Wenn ich in diesen Tagen jammere, dann jammere ich nicht nur auf hohem, sondern auf höchstem Niveau. Das ist mir vollkommen bewusst. Dennoch erlaube ich es mir von Zeit zu Zeit, ein wenig zu jammern, und halte es sogar für richtig und wichtig im Umgang mit mir und der Situation. Mein größtes Problem? Ganz offensichtlich die schon lange nicht mehr guten Gewissens vorzeigbare Corona-Frisur. Das zweitgrößte? Corona nervt.

Mich nervt die Unsicherheit wie es weitergehen wird. Mich nervt die immer noch andauernd geäußerte Floskel „Wir stehen noch ganz am Anfang der Epidemie.“ Mich nervt die unmittelbar daran anschließende Frage „Wie soll es denn enden, wenn das erst der Anfang ist?“ Und mich nerven die unzähligen alten und neuen, veralteten und nicht alt werdenden Regelungen. Regelungen, die plötzlich da sind, auch wenn es lange hieß, sie würden nie kommen. Und Regelungen, die gelockert werden, was für die einen viel zu spät, für die anderen viel zu früh und für uns alle mit dem Hinweis kommt, sie könnten jederzeit wieder verschärft werden.

Aber besonders nervt mich, dass ich mein eigenes Verhalten nicht mehr gut einschätzen kann. Ist es immer noch das Beste, bis auf die Einkäufe und einsame Rad- und Laufrunden alleine zu Hause zu bleiben? Oder darf auch ich wieder guten Gewissens die alte WG besuchen, mit einem Freund Tischtennis spielen, mit dem ein oder dem anderen Onkel ein Eis essen gehen, mich zum Lauftraining verabreden, irgendwann mal wieder für ein Wochenende zu meinen Eltern fahren, oder ohne Maske den Supermarkt betreten, weil ich vergessen habe, sie mitzunehmen? Was davon ist gerade überhaupt verboten, was wäre theoretisch noch erlaubt und was schon wieder? Ich verfolge täglich die aktuellen Nachrichten und trotzdem frage mich: „Kann mich mal bitte jemand aufklären?“ Dieses Spiel hat die komplexesten Regeln, aber wer hat verdammt noch mal die Anleitung verschusselt?

In den sozialen Medien stolperte ich zuletzt über diesen Beitrag (ich habe ihn nur sprachlich ein wenig überarbeitet):

Klarstellung der Corona Regeln
1. Im Prinzip dürfen Sie das Haus nicht verlassen. Aber wenn Sie möchten, dann dürfen Sie doch.
2. Masken sind nutzlos. Sie sollten aber unbedingt eine tragen, denn sie kann Leben retten.
3. Alle Läden sind geschlossen. Außer die, die geöffnet sind.
4. Dieses Virus ist tödlich, aber nicht allzu beängstigend. Eventuell führt es zu einer globalen Katastrophe.
5. Jeder muss zuhause bleiben. Aber es ist wichtig auch rauszugehen, besonders bei Sonnenschein. Besser wäre es aber, nicht rauszugehen. Außer natürlich für Sport, das ist okay.
6. Es gibt keinen Mangel an Lebensmitteln im Supermarkt. Aber es gibt viele Dinge, die fehlen, und andere sind zurzeit einfach nicht da.
7. Das Virus hat keine Auswirkungen auf Kinder. Außer auf diejenigen, auf die es Auswirkungen hat.
8. Tiere sind nicht betroffen. Aber es gibt eine Katze, die im Februar in Belgien positiv getestet wurde. Und ein paar Tiger und selten auch Hunde. Eigentlich ja keine Hunde, aber manchmal dann doch. Jegliche Oberflächen können die Krankheit übertragen. Außer das Fell Ihres Tieres.
9. Wenn Sie krank sind, werden Sie viele Symptome haben. Aber Sie können auch ohne Symptome krank werden, Symptome haben, ohne krank zu sein, ansteckend sein, ohne Symptome zu haben, und sich anstecken, ohne dass der Ansteckende Symptome hat.
10. Das Virus bleibt auf verschiedenen Oberflächen zwei Stunden lang aktiv. Oder vier, oder sechs oder auch mehrere Tage. Aber es braucht eine feuchte Umgebung. Das aber auch nicht unbedingt.
11. Das Virus bleibt eigentlich nicht in der Luft. Manchmal aber dann doch. Vor allem in einem geschlossenen Raum.
12. Es handelt sich hier grundsätzlich nicht um Schmierviren. Aber eine Schmierinfektion wäre möglich.
13. Wir sollten so lange zu Hause bleiben, bis das Virus verschwindet. Es wird aber nur verschwinden, wenn wir eine kollektive Immunität erreichen. Dafür dürfen wir nicht zu viel zu Hause sein, deswegen bleiben Sie besser nur die meiste Zeit über zu Hause.
14. Sollten Sie erkrankt gewesen sein, werden Sie möglicherweise später wieder erkranken. Dazwischen sind Sie gegen das Virus immun.

Ich las diesen Beitrag und dachte mir mehr denn je: Corona nervt. Die Unsicherheit nervt, die Ängste und Sorgen nerven, Homeoffice und Videokonferenzen nerven, Masken nerven, Regeln nerven. Ich will alles „richtig machen“ und fühle mich gleichzeitig wie ein trotziges Kind, das nicht mehr mitspielen will. Wenn wenigstens jemand sagen könnte, wann das Spiel zu Ende sein wird. Aber: „Wir wissen es einfach nicht.“ (Auf die Floskel vom Anfang verzichte ich an dieser Stelle.) Und trotzdem – es geht mir gut. Es könnte noch viel viel schlimmer sein.