Sonntag, 19. November 2017

Tag 8 – Unter Einheimischen

Landestypische Attraktionen zu besichtigen, mag wertvoller Bestandteil einer Reise sein. Mir erscheint es jedoch mindestens genauso wertvoll - wenn auch schwieriger umsetzbar - am landestypischen Leben teilzuhaben. Wie lebt man in Portugal? Wie und wo geht man zur Schule / studiert man / arbeitet man? Wie verbringt man seine Freizeit? Es ist eine Sache – und keine schlechte – sich mit Menschen aller Herren Länder vor den Sehenswürdigkeiten zu tummeln, eine ganz andere Sache ist es, sich unter die Einheimischen zu mischen.

An diesem Tag lagen etwa 200 km bis zur nördlichen Grenze des Nationalparks vor uns und die Erzbischofsstadt Braga bot sich als Zwischenstopp an. Und ohne, dass wir damit gerechnet hatten, fanden wir uns mitten in der Stadt plötzlich inmitten von Portugiesen wieder. Ich war begeistert!

Ein Samstagnachmittag im Spätsommer, die Straßen waren belebt, junge Erwachsene und Familien mit Kindern waren ebenso unterwegs wie Jugendliche und ältere Menschen. Die einen rannten und spielten, die anderen saßen auf Bänken und unterhielten sich, wieder andere gingen beschäftigt ihren Besorgungen nach. Jeder von ihnen schien die Zeit auf seine Weise und für sich zu nutzen und es zu genießen, dies im Beisein anderer Menschen zu tun, so wie ich es von mir selber nur allzu gut kenne.

Wir sahen uns also zunächst Kathedrale, Castelo und ein bis zwei Kirchen an und saßen dann eine ganze Weile auf dem gut gefüllten Praça da República, aßen Eis und beobachteten das Treiben um uns herum. Die drei Bilder der Collage versuchen, das Erleben einzufangen.

Freitag, 17. November 2017

Tag 7 - Big Waves in Nazaré

Nachdem wir als einzige Parkplatzbesucher zurückblieben, verlief die Nacht ruhig. Das Frühstück unter freiem Himmel lassen wir uns trotz Nebelschleier nicht nehmen. Im Anschluss fahren wir nach Nazaré und besichtigen den Leuchtturm bzw. die ehemalige Festungsanlage der Fischerstadt. In einer Ausstellung werden den Besuchern die Geschichte der Stadt und des Forts sowie die geologischen Hintergründe der berühmten „Big Waves“ nahegebracht. Die Erläuterungen zum Nazaré Canyon, einem bis zu 5 km tiefen und 230 km langen Tiefseegraben, finde ich besonders spannend. Der Canyon ist der Grund dafür, dass sich bei passenden Wetterbedingungen massive Riesenwellen bilden, die vom Wind Richtung Land gedrückt und vom Mensch für sportliche Höchstleistungen genutzt werden. Auf den Bildern und Videos der Ausstellung wirkt das Meer so mächtig und unantastbar, dass ich mir bewusst bewusst machen muss, dass der moderne Mensch auch dieses Ökosystem nicht wie ein Gentleman behandelt.

Der Himmel klart auf und wir entscheiden, am südlichen Strandabschnitt einen Badeversuch zu starten. Durch eine Einbuchtung geschützt treffen hier weniger hohe Wellen an und die letzte Dusche liegt nun drei Tage zurück. Die Badefreude ist von kurzer Dauer: Die Wellen erscheinen zwar harmlos, taugen aber doch nur für einen Spülgang und zwei Kilo Sand im Badeanzug.

In den Abend hinein fahren wir weiter bis zum Praia do Poço da Cruz und wählen eine einsame Ecke des großen Parkplatzes [40.490107° Nord, -8.790052° Ost]. Wir erklimmen die Dünen, erhaschen noch einen Blick auf eine Gruppe von Surfern, die der einbrechenden Dunkelheit trotzend im Wasser ihr Unwesen treiben, kochen uns Nudeln mit Tomatensoße und lassen den Tag zu Ende gehen.


Das Foto des Tages zeigt die Surfboards einiger „Big Wave Legenden“ als Teil der Ausstellung im Fort São Miguel Acanjo.

Dienstag, 14. November 2017

Exkurs - Längs durch die Stadt

Meine täglichen Wege führen mich kilometerweit mit dem Rad durch Berlin. Die meisten bin ich schon unzählige Male gefahren, dennoch entdecke ich immer wieder Neues. Auf dem Rad fühle ich mich frei und unabhängig, nur selten können mir schlechtes Wetter, lange Strecken oder mangelnde Ausdauer die Laune verderben. Heute war mal wieder ein Trip längs durch Berlin an der Tagesordnung. Auf dem Rückweg sprudelten in Gedanken förmlich die Worte, um das Erleben der Fahrt „zu Papier“ zu bringen. Zuhause angekommen, habe ich mich direkt an den Rechner gesetzt. Die besten Formulierungen sind mir mit zunehmendem Kilometerstand auf dem Tacho leider wieder in Vergessenheit geraten. Den Rest möchte ich trotzdem teilen, als kleinen Exkurs vom Urlaubstagebuch.

Los geht es in Dahlem, ein erfolgreicher Arbeitstag in der Philologischen Bibliothek der Freien Universität Berlin liegt hinter mir. Licht ans Rad – es ist schon dunkel – und ab dafür. Nur noch ein kurzer Zwischenstopp an der Bäckerei Kornfeld, die letzten Vollkornbrötchen bitte, eines als Wegzehrung, zwei fürs Abendessen. Ich lasse die Tradition aus Studienzeiten aufleben. Zu Beginn ist die Fahrt geprägt von Erinnerungen. Vorbei am Botanischen Garten, dem Breitenbachplatz, der alten Wohnung. Den Südwestkorso entlang bis zur lästigen Doppelkreuzung, an der ich mich erst rechts auf dem Radweg vorbeimogele und mich dann, vorne angekommen, links auf der Abbiegespur platziere, um nicht zweimal warten zu müssen. Laubacher Straße, Blissestraße und weiter bis zum Volkspark – meine alte Joggingstrecke. Hier biege ich noch einmal ab auf die Uhlandstraße, dann heißt es: immer geradeaus. Ich bin ein ums andere Mal verwundert, wie schnell sich dieser erste Teil der Strecke fährt. Ohne mit der Wimper zu zucken bin ich über den Ku’damm, am Savignyplatz, am Ernst-Reuter-Platz.

Ab hier wird es zäher, der große Kreisverkehr wartet wie immer mit drei roten Ampeln auf mich. Ich überquere Landwehrkanal und Spree, die Großbaustelle an der Gotzkowskybrücke fordert meine Aufmerksamkeit. Die Markierungen für Radfahrer werden insbesondere von anderen Verkehrsteilnehmern gerne übersehen. An der Kreuzung Alt-Moabit gilt es wie immer eine Entscheidung zu treffen: Rechts oder links? Meistens entscheide ich mich für links, so auch heute. Ich erklimme also die Beusselstraße und bestaune die breiten Becken des Westhafens, inmitten derer historische Gebäude neben modernen Silos thronen, zwischen denen stapelweise Frachtcontainer lagern. Wie kann ein so kleiner Teil Berlins nur so unfassbar groß erscheinen? Hier zeigt sich mir das immense Ausmaß der Stadt.

Dreimal übers Wasser und es steht wieder eine Entscheidung an: Seestraße Ecke Dohnagestell überlasse ich sie gerne der Ampel und fahre, wie es gerade grün ist. Heute leitet mich das Schicksal geradeaus, weiter die Seestraße entlang, auf dem Radweg vorbei an dem sich stauenden Autoverkehr. Vier Streifenwagen versperren den Weg, der Grund für das Blaulicht ist mir nicht ersichtlich. Ich stoße auf die Müllerstraße, biege links ab. Durch Geschäfte, Restaurants, Kioske und Imbissläden ist es so hell erleuchtet, dass ich kurz prüfe, ob meine Lichter noch brennen. Nun heißt es einmal quer durch den Wedding – nicht gerade meine liebste Gegend. Auch hier habe ich kurzzeitig gewohnt und keine besonders guten Erinnerungen daran. Passend dazu beginnt es zu nieseln und der Wind, der zuvor noch charmant aus der richtigen Richtung blies, schlägt mir plötzlich entgegen. Zudem passieren zwei weitere Einsatzfahrzeuge, ich begebe mich in die Rettungsgasse. Kurz darauf kommt noch ein Notarztwagen entgegen, wieder Blaulicht, wieder Sirene, was ist denn bloß los heute Abend?

Die frische Luft tut dennoch gut und Müllerstraße Ecke Barfussstraße entscheide ich spontan, nicht den direkten Weg durch Schillerpark und Weiße Stadt, sondern noch einen kleinen Schlenker zu fahren. So biege ich erst am Kurt-Schumacher-Platz ab und nehme die Ollenhauerstraße Richtung Norden. Vorbei an Lidl, Aldi, Kaufland, Edeka und den beiden großen Autohäusern, dann wird es ruhiger. Ein Ortsschild bescheinigt mir, Reinickendorf erreicht zu haben. Die nächste Kreuzung rechts, jetzt führt mich die Lindauer Allee auf den letzten Kilometer. Kurz vor ihrem Ende biege ich links ab: „Sie haben Ihr Ziel erreicht“.

Sonntag, 12. November 2017

Tag 6 - Mysteriöse Parkplatzbesucher

Die erste Nacht im Bus ist noch ungewohnt. Wir sind beide spät zur Ruhe gekommen und lassen den Morgen gemächlich angehen. Nach dem Frühstück verlassen wir den Platz an der Steilküste. Genaue Pläne für die Route haben wir nicht – der grobe Plan lautet, gegen Ende der Woche den Nationalpark im Norden des Landes zu erreichen. An den Surferstränden von Ericeira machen wir Halt. Die Kleinstadt konnten wir am Abend zuvor schon hell erleuchtet am Horizont erkennen. Nun scheint die Sonne und die Wellen scheinen Freude daran zu haben, die im Vergleich winzig erscheinenden Gestalten auf ihnen in Richtung Strand zu befördern. David gegen Goliath? Der weitere Streckenverlauf führt uns über die Stadt Torre Vedras, wo wir Reste der Festungsanlage, die mittelalterliche Burganlage und den historischen Ortskern besichtigen.

Am Praia do Salgado schlagen wir nach insgesamt etwa 130 km Fahrt unser zweites Nachtquartier auf. Ein Kleinwagen, der den Parkplatz zu später Stunde anfährt und erst nach ein bis zwei Stunden wieder verlässt, ohne dass jemand das Auto verlassen hat, gibt uns Rätsel auf. Zwischenzeitlich kamen ein weiterer Wagen und ein Motorroller dazu, jeweils mit kurzem Aufenthalt. Wir sinnieren über die Gründe, denken uns Schauergeschichten aus und können dank akuter Müdigkeit dennoch einschlafen. [39.546858° Nord, -9.110377° Ost] – vielleicht ja die Koordinaten des geheimen Treffpunkts portugiesischer Mafiosi in der Nacht des 12. Oktober 2017 …?

Das Foto des Tages zeigt den Innenhof einer Kirche in Torre Vedras, dessen Wände mit Azulejos versehen sind. Die glasierten, bemalten Kacheln, ein Wahrzeichen Portugals, finden sich auch an vielen Häusern, entzücken die Touristen und schützen die Bewohner vor Hitze und Feuchtigkeit.

Donnerstag, 9. November 2017

Tag 5 - Der Roadtrip beginnt

Heute läuft alles wie (schon für gestern) geplant. Gegen Mittag wird uns in einer Werkstatt in Alcabideche am nördlichen Ende des Parque Natural de Sintra-Cascais unser Heim für die nächsten acht Tage übergeben: Azul, “der Blaue”, ein VW T3, Bj. 1986. Die Einweisung folgt sofort: “Hier sind die Schlüssel, hier sitzt die Bordbatterie – Kühlschrank, Sitzbank, Wassertank, Ölstand, Wandschrank – die Fahrzeugpapiere: bitte nicht verlieren, die Ersatzsicherungen: müssten funktionieren – Solardusche, Badmintonschläger, Nähset, Hochbett, Tische für drinnen und draußen, etc. etc. – dieses Fahrzeug ist mindestens so gut ausgestattet wie eine sorgfältig eingerichtete Ferienwohnung. In gefühlt 5 Minuten werden uns gefühlt 500 Dinge gezeigt und erklärt, von denen uns die eine Hälfte extrem wichtig und die andere Hälfte extrem unwichtig erscheint. Von jeder Hälfte können wir uns ca. ein Drittel merken und vertrauen darauf, dass wir alles unverständlich Wichtige irgendwie auch alleine (raus-) finden werden.

Noch eine Unterschrift: ab jetzt tragen wir die Verantwortung. L. übernimmt das Steuer, ich die Navigation, Azul sorgt für den Antrieb. Um in dieser Konstellation warm zu werden, fahren wir zum nächstgelegenen Supermarkt und, nachdem alle Grundbedürfnisse gedeckt sind, noch etwa 50 km bis Praia da Vigia. Den Parkplatz an der Steilküste werden wir mit Einbruch der Dunkelheit für uns alleine haben. Zuvor wagen wir noch den Abstieg und werden mit einem Spaziergang am Strand entlohnt, den wir uns mit nicht mehr und nicht weniger als einer Horde Möwen teilen müssen. Der Sonnenuntergang im Anschluss und ein erstes festliches Abendmahl tun ihr Übrigens, um uns den Start ins Camping-Dasein in vollen Zügen genießen zu lassen.


Das erste Bild des Tages beweist, dass ich es mit der Einsamkeit am Strand nicht übertrieben habe. Das zweite Bild zeigt Azul an unserem ersten Übernachtungsstandort mit den Koordinaten [38.9163821° Nord, -9.4258337° Ost]. Der geneigte Leser darf diese Angabe gerne nutzen, um sich den Standort auf Google Maps von oben anzusehen.

Samstag, 4. November 2017

Tag 4 - “Don't worry, you're on holiday!”

Nach drei Tagen Lissabon starten wir unseren Roadtrip. Dachten wir. Um 10 Uhr werden wir abgeholt und zu unserem Bus gebracht. Dachten wir. Es ist Dienstag, der 11. Oktober. Dachten wir. Eine dreiviertel Stunde Wartezeit am Treffpunkt lässt Unsicherheit heranwachsen … Bis mir beim Blick auf die Uhr klar wird, dass wir zwar sehr wohl einen Dienstag, jedoch den 10. und nicht den 11. Oktober schreiben, ab dem der Bus reserviert ist. Glück im Unglück: Wir haben uns nur mit dem Wochentag vertan, unsere Unterkunft ist eine weitere Nacht gebucht. Also erst mal wieder Zugang zur Wohnung verschaffen. Die Münze entscheidet, dass ich zum Atelier unseres Gastgebers laufe, während L. an Ort und Stelle verweilt und auf das Gepäck Acht gibt. Er hatte selbst nicht im Blick, dass wir bis Mittwoch gebucht haben, gibt mir den Schlüssel und schmunzelt über unser Malheur: "Don’t worry, you’re on Holiday!"

Nachdem das Gepäck verstaut ist, nutzen wir den zusätzlichen Tag in Lissabon, um die Kathedrale, das Nationale Pantheon und den “Markt der Diebin" zu besichtigen und ein portugiesisches Restaurant zu besuchen, das die letzten beiden Abende geschlossen war. Ich wähle die vegan gekennzeichnete Vor- und Hauptspeise, lasse mich überraschen und lerne beim Essen direkt noch ein paar neue Vokabeln. Die "Cenouras à algarvia" und das "Caril de grão com abóbora" kann ich nur weiterempfehlen.

(Fotografiert habe an diesem Tag nur wenig und keines der Bilder möchte ich hier veröffentlichen. Im nächsten Artikel gibt es aber wieder eine Collage!)