Montag, 21. September 2020

Montag

Montage sind ja immer so eine Sache. Bei mir entscheidet sich oft schon am Morgen, wie der Rest der Woche verlaufen wird. Gestern hatte ich mir ein paar Pläne gemacht, Montag und Dienstag wollte ich auf jeden Fall ins Büro fahren. Als der Wecker klingelt, zögere ich trotzdem. Ich muss ja nicht, heute stehen eine Videokonferenz und die Vorbereitung einer Präsentation für die nächste Tagung auf der Agenda, beides könnte ich auch von zuhause aus machen. Im Büro werde ich nicht erwartet.

In diesen Momenten verfluche ich das Home-Office. Ich frage mich, ob uns diese Freiheit irgendwann wieder genommen wird, ob die Arbeitnehmer irgendwann wieder verstärkt dazu angehalten werden, ihre Arbeit im Büro zu verrichten. Ich vermute ja, dass die Leute zuhause etwas weniger arbeiten, als es „früher“ im Büro der Fall gewesen ist. Aber vielleicht schließe ich da auch vorschnell von mir auf andere. Und vielleicht ist die Arbeit zuhause auch einfach effektiver. Man sitzt weniger Zeit vorm Rechner ab, ohne wirklich etwas zu tun, weil man in solchen Momenten eher unterbricht und die Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt fortführt, an dem man wieder konzentriert, kreativ und produktiv ist. Kontrollierbar ist das natürlich alles nicht und wahrscheinlich werden die meisten Arbeitgeber erst reagieren, wenn begründet Misstrauen besteht bzw. sich herausstellt, dass Arbeitnehmer bestimmte Tätigkeiten im Home-Office nicht zuverlässig verrichten (können).

Ich genieße die Freiheit, wünsche mir aber oft auch wieder ein bisschen mehr Kontrolle oder Verbindlichkeit. Wenn ich weiß, dass ich im Büro erwartet werde, verhindert das, dass ich morgens einfach liegen bleibe, den Tag verstreichen lasse und mich erst irgendwann am Abend an die Arbeit setze. Dabei weiß ich genau, dass diese abendlichen Arbeitsphasen mir nicht gut tun und ich besser beraten bin, den Tag für die Arbeit und den Abend zur Entspannung zu nutzen.

Heute schaffe ich es, mich selbst zu ermuntern, bei meinen gefassten Plänen zu bleiben. Ich stehe also auf, packe meine Sachen, fahre ins Büro und widme mich der Präsentation. Es läuft gut, ich bin zufrieden mit dem Ergebnis und sogar die Videokonferenz, auf die ich zunächst gar keine große Lust hatte, ist inhaltlich interessant und es wird rege diskutiert. Ich arbeite fünf Stunden ohne größere Unterbrechung und mache wie geplant um 16 Uhr Feierabend.

Den Plan für den Nachmittag muss ich dann aber doch spontan anpassen. Der Laden, in dem ich heute das Geburtstagsgeschenk für meine Mutter abholen wollte, hat Montag geschlossen. Die Verabredung, die ich für morgen getroffen habe, kann ich aber auf heute verschieben. Wir sitzen gemütlich auf dem Wilmersdorfer Balkon, quatschen bis in den Abend hinein über Gott und die Welt und sind ein ums andere Mal dankbar über den gegenseitigen Austausch.

Und abends? Schreibe ich nur noch eine Mail, recherchiere nur noch einen Artikel, schaue mir nur noch ein Dokument durch und erinnere mich dann daran, dass ich ja Feierabend machen wollte und das alte Sofa dafür der bessere Ort ist als der noch ältere Schreibtischstuhl.

Sonntag, 20. September 2020

Aufwärtstrend?

Nach dem Familienbesuch verging eine weitere Woche mit Hochs und Tiefs. Je nach Verfassung, Tageszeit, Laune und Wetter bin ich mal voller Zuversicht und mal völlig verzweifelt, aber immer in einem wackeligen Stadium. Ich rede mir gut zu mit „Am Ende wird alles gut – wenn es noch nicht gut, ist es noch nicht das Ende.“ und frage mich kurz darauf doch wieder „Wann ist der Mist endlich zu Ende?“

Das Gute an Stimmungsschwankungen ist, dass es nach dem „Abwärts“ immer wieder „Aufwärts“ geht. Im Laufe der Woche stelle ich zum x-ten Mal mein Manuskript fertig und bekomme endlich auch das „Okay“ von den KoautorInnen. Es ist ein gutes Gefühl, dieses Projekt endlich abschließen zu können – jetzt heißt es: Einreichen und auf die Gutachten warten. Das kann dauern. Ich stelle mich auf sechs Monate ein, die durchschnittliche Bearbeitungszeit bei der gewählten Zeitschrift. Sie wird meine Geduld ein weiteres Mal ganz schön herausfordern.

Trotzdem fühle ich mich nach dem Fertigstellen des Manuskriptes erstmal befreit und erleichtert. In Bezug auf die Arbeit heißt es jetzt: Neu sortieren, neue Aufgaben und einen neuen Fokus wählen, Teilschritte planen, neu strukturieren. Nicht ganz einfach, aber machbar. Mittwoch und Donnerstag nehme ich dann noch teilweise Teil an meiner ersten „Online-Tagung“. Delegationen aus der Slowakei und Estland interessieren sich für das Institut und seine Machenschaften in Sachen Bildungsmonitoring und ich habe mich mehr oder weniger freiwillig bereit erklärt, meinen Projektbereich vorzustellen. Der Vortrag läuft gut, die Anonymität der Videokonferenz ist trotzdem eher ernüchternd und ich frage mich, wann wohl wieder die ersten größeren Präsenzveranstaltungen stattfinden werden können. Die nun doch wieder deutlicher steigenden Fallzahlen machen mir da leider wenig Hoffnung und die allgemeine Sorge über zu viel Sorglosigkeit wächst angesichts der Neuigkeit, dass ausgerechnet Würzburg in ganz Deutschland zeitweise am stärksten betroffen ist.

Abschalten kann ich in diesen Tagen beim Radfahren und Tour de France gucken. Letzteres war schon lange nicht mehr so spannend wie in diesem Jahr und zu ersterem motiviert mich mein sportlicher Ehrgeiz und die Stadtradeln-Aktion. Am Donnerstag fahre ich 40 km in 1:27 h bzw. in einem 27 km/h Schnitt – absolute Bestzeit! Und ich lese endlich wieder regelmäßig, v. a. am Abend, manchmal auch morgens. Eines der beiden Bücher, die ich zuletzt gekauft habe, habe ich bereits durchgelesen, das andere – Stand heute – fast zur Hälfte.

Am Samstag findet das Kennenlerngespräch für die Bildungspatenschaft statt. Regulär hätte ich deutlich länger warten müssen, aber es ist spontan ein Termin freigeworden, den ich mir gut einrichten konnte. Nach dem Gespräch bin ich nervös: Bin ich der Aufgabe wirklich gewachsen? Schaffe ich es, den Anforderungen gerecht zu werden? Einerseits habe ich wirklich Lust, mal wieder Nachhilfe zu geben. Und ich bin gespannt darauf, wie das in diesem ehrenamtlichen Setting sein wird, und wie es sich von meiner bisherigen Nachhilfe-Erfahrung, die fast ausschließlich in sozial privilegierten Familien und irgendwelchen Villen am Wannsee stattgefunden hat, unterscheidet. Andererseits habe ich großen Respekt davor und frage mich, ob ich es gut hinbekomme, dem Kind bzw. der Familie auf Augenhöhe zu begegnen und meine Berührungsängste abzulegen.

Im Anschluss gibt es ein Eis in meiner Lieblingseisdiele und einen ausgiebigen Spaziergang mit meinem Onkel. Wie sind schon ganz schön k.o. als wir feststellen, dass wir noch ein ordentliches Stück zurück zur Wohnung laufen müssen, und amüsieren uns herrlich dabei, alle fünf Minuten „Ist es noch weit?“ zu stöhnen und über diverse alternative Fortbewegungsmittel nachzudenken, bis wir schließlich wieder an seiner Wohnung ankommen. (Zu Fuß natürlich!)

Sonntag bleibe ich zunächst lange liegen und mache am späten Nachmittag dann eine weitere lange Radtour. Es ist warm, die Sonne strahlt, aber die gelben Blätter, die durch die Luft wirbeln oder bereits am Boden liegen, lassen keine Zweifel daran, dass der Herbst angebrochen ist. Ich bin gespannt, was er bringen wird. Heftige Herbststürme wie 2017, als in Berlin reihenweise die Bäume umknickten? Ein goldener Oktober wie 2018, als es Mitte den Monats noch warm genug zum Eis essen in kurzen Hosen war? Oder so ein „Zwischending“ wie letztes Jahr?

In Bezug auf meine wackelige Gefühlslage überwiegt zum Ende der Woche zumindest die Zuversicht und ich denke, dass ich mit allen drei Szenarien schon irgendwie klar kommen werde. „Es kommt wie’s kommt.“ und „Es muss ja.“ sage ich mir, putze die Zähne und gehe ins Bett, um noch ein bisschen zu lesen.

Samstag, 12. September 2020

Depression, Weltschmerz, Familienbesuch und Tatendrang

Die letzten Tage waren aufwühlend. Zu Beginn der Woche ging es mir gar nicht gut und ich habe mich krank gemeldet. Aus dem Bett bin ich nur sehr schwer gekommen, zu sehr hing ich in einer Spirale von Negativgedanken fest mit dem Gefühl, es lohnt sich nicht, aufzustehen und dagegen anzukämpfen.

Dann erreichen mich die Nachrichten von den Bränden im Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos. Die Bilder überfordern mich, es fällt schwer sie einzuordnen. Mein eigenes Leid, meine Sorgen, meine Befindlichkeiten, meine Unzufriedenheit kommen mir plötzlich so belanglos vor. Habe ich das Recht, mich in meiner – im Vergleich zu weiten Teilen der Weltbevölkerung – überaus privilegierten Situation „schlecht“ zu fühlen? Mich zu beklagen? Um Hilfe zu bitten?

Was sollen dann erst die Menschen sagen, die ohnehin schon wochen-, monate-, jahrelang ohne echte Existenzgrundlage leben? Die in völliger Ungewissheit vor dem „Nichts“ standen und nun – von heute auf morgen – vor noch viel mehr „Nichts“ stehen. Klar ist: Wir haben alle unsere Sorgen, Stress auf der Arbeit, physische, psychische oder psychosomatische Beschwerden, finanzielle Nöte, … die Liste könnte beliebig fortgeführt werden. Aber da sind unschuldige Menschen in Not von jetzt auf gleich in eine noch viel größere Notlage geraten, aus der sie sich aus eigener Kraft wohl kaum befreien können.

Ich verfolge die Nachrichten in der Hoffnung, auf hoffnungsvolle Bekanntgaben. Die Bundesregierung wird helfen, deutsche Kommunen werden Flüchtlinge aus Moria aufnehmen. Schnell soll es gehen und es sollen mehr sein als ursprünglich geplant, sagen die einen. Aber: Es braucht eine „europäische Lösung“. Es muss schneller gehen, es sind immer noch zu wenig, Deutschland soll eigenständig handeln, sagen die anderen.

Ich fühle mich nicht informiert genug, um zu urteilen über Recht und Unrecht der einen oder der anderen. Gleichzeitig drängt sich mir das Gefühl auf, dass in diesem Fall kaum über Recht und Unrecht entschieden werden kann. Zu viele Zusammenhänge sind zu beachten, zu viele Interessen wollen vertreten werden, zu viele Personengruppen sind beteiligt, zu viele Auswirkungen müssen abgeschätzt werden. Mit welcher Haltung begegnen wir Menschen in Not? Und wie können wir verhindern, dass immer mehr Menschen ihre Existenzgrundlage verlieren? Das sind wohl mit die größten Fragen der Gegenwart. Einfache Antworten gibt es nicht.

Ich habe weder die mentale Stärke vor Ort zu helfen, noch bin ich gewillt, mich hier politisch zu engagieren oder auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Ich habe ja gar keine klare Meinung, was denn nun „getan“ werden soll, getan werden kann, getan werden muss. Man müsste was tun, denke ich mir, und im selben Atemzug frage ich mich: Was kann ich schon tun? Und wird es nicht immer weiter Elend, Krankheit, Krieg und Armut geben? Sind humanitäre Katastrophen wie diese überhaupt zu verhindern? Und wenn ja, werden wir dann nicht eh von anderen eingeholt? Attentate/Terroranschläge, Naturkatastrophen, die Corona-Pandemie … die Nachrichten sind doch schon lange voll von bedrohlichen Ereignissen. Vergessen wir sie zu schnell und handeln wir zu wenig? Die Explosion im Hafen von Beirut ist gerade mal einen Monat her und hierzulande schon fast kein Thema mehr, obwohl der Hafen noch lange in Trümmern liegen wird. Da wo es am stärksten brennt, schauen wir hin – so funktionieren unsere Medien. Oder ist vergessen, verdrängen, sich nicht verantwortlich fühlen, vielleicht doch die beste Strategie, um das Gefühl von Hilflosigkeit zu umgehen und den Weltschmerz irgendwie zu ertragen? Und wenn ja, „darf“ man das?

Am Wochenende ist meine Familie zu Besuch in Berlin. Wir haben ein paar Unternehmungen geplant, werden die Gärten der Welt in Marzahn besichtigen, im Frohnauer Umland wandern, über den Markt in Zehlendorf schlendern. Ich bemühe mich, die Zeit zu genießen, mich auf die Gesellschaft, die Gespräche, das Programm ein- und meine Schwermut für eine Weile loszulassen. Es fällt mir auch an diesen Tagen schwer, aufzustehen und dem Abendprogramm entziehe ich mich zumindest an zwei von drei Tagen. Aber ansonsten gelingt es mir wohl einigermaßen, mich zu beteiligen. Depression ist auch: Aufstehen, Zähne putzen, arbeiten, Sport machen, Freunde/Familie treffen, über Scherze lachen. Funktionieren, sich nichts anmerken lassen / sich zusammenreißen einerseits, und andererseits die Gunst der Stunde und/oder kleine Energieschübe nutzen, um sich selbst ein wenig abzulenken. Das ist immer anstrengend, aber es sind auch immer sehr wertvolle und schöne Momente, die wir miteinander erleben, und ich bin jedes Mal dankbar über das große Verständnis, das mir und meinen Stimmungen dabei entgegengebracht wird.

In den Gesprächen kann ich auch ein paar meiner Gedanken über die Katastrophe auf Lesbos teilen. Das Gefühl, etwas tun zu wollen. „Es gibt nichts Gutes. Außer: Man tut es“ – mein Vater zitiert Erich Kästner und überlegt, etwas Geld an eine Hilfsorganisation zu spenden. Und ich treffe am Abend die Entscheidung, mich bei einer Organisation anzumelden, die Bildungspatenschaften zwischen Ehrenamtlichen und sozial benachteiligten Schülern*innen mit Migrationshintergrund vermittelt. Die Welt werde ich damit nicht verändern, das ist mir bewusst. Vielleicht aber meine Weltsicht, mein Gefühl, nichts bewirken zu können, mit meinem Handeln keinen sinnvollen Beitrag für eine bessere Welt zu leisten.

Direkt im Anschluss erhalte ich eine automatisch generierte Willkommens-Mail mit einer Bestätigung der Anmeldung und der Aufforderung, über das Online-Terminbuchungstool einen Termin für ein Kennenlerngespräch zu vereinbaren. Und nun bin ich tatsächlich aufgeregt und ganz gespannt, auf dieses neue Projekt. Dieses Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr.

Freitag, 4. September 2020

Herbstanfang

Ich war eine Woche bei meinen Eltern – am Wochenende haben wir meine Oma besucht. Das war schön, die Gesellschaft und insbesondere die Treffen mit den engsten Freundinnen waren sehr wertvoll. Trotzdem bin ich nicht uneingeschränkt gut drauf, die Arbeit bzw. damit verbundene Frustration, Unsicherheit und Meinungsverschiedenheiten belasten mich.

Pünktlich zum meteorologischen Herbstanfang kündigt sich Herbstwetter an. Es ist ein paar Tage regnerisch und schlagartig deutlich kühler. Ich mag das – zu viel Regen muss natürlich nicht sein, aber mit diesen superheißen Sommertagen kann ich auch nicht besonders viel anfangen. Lieber sind mir solche, an denen die Luft klar und kühl ist, aber es noch ausreicht, tagsüber Pullover und am Abend eine dünne Jacke zu tragen.

„Nichts stürzt das deutsche Volk in derart große Verwirrung wie das  Übergangswetter zwischen zwei Jahreszeiten. Man sieht Helmut mit Kurzarmhemd und Sandalen neben Gisela in Winterjacke und Wollschal. Alles ist möglich. Alles ist erlaubt.“ lese ich in einem Sozialen Netzwerk und muss schmunzeln. Zumindest diesbezüglich hält sich meine Verzweiflung in Grenzen.

Dieser Jahreszeitenwechsel ist trotzdem anders. Da stehen wir nun – nach dem Frühling im Lockdown und dem Sommer im Lockerungswahn – im Kopf irgendwie noch immer Mitte März hängen geblieben, mit den Füßen aber auf dem Boden der Gegenwart. Zwischen August und September, zwischen Sommer und Herbst. Ein Herbst, bei dem wir alle nicht so recht wissen, was uns erwarten wird.

Die meisten haben sich an das Tragen von Alltagsmasken gewöhnt. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich sie das letzte Mal beim Verlassen des Hauses vergessen habe. Diejenigen, die sich über das Tragen der Masken echauffieren und zum Sturm auf Berlin aufrufen, stellen glücklicherweise die Minderheit. So eine randalierende rechtspopulistische Minderheit ist natürlich nicht klein zu reden, aber allemal besser als eine randalierende rechtspopulistische Mehrheit.

Zum Sommerende stiegen die Fallzahlen wieder deutlich. Von zeitweise nur 500-700 registrierten Neuinfektionen pro Tag über 1000, 1200, 1500 bis zuletzt wieder knapp über 2000. Ich mache mir Sorgen, auch wenn die Zahlen mit dem voranschreitenden Ende der Sommerferien wieder etwas gesunken sind und vor allem die Zahl der Erkrankten mit schweren Verläufen niedrig geblieben ist.

In verschiedenen Quellen heißt es, dass Mitte des nächsten Jahres mit einem Impfstoff gerechnet werden kann. Ich versuche mich gedanklich darauf einzustellen, dass diese „neue Normalität“ bis dahin Bestand haben wird. Mit den aktuellen Einschränkungen kann ich leben, die Sorge vor Infektionen innerhalb des Familien-, Freundes- und Bekanntenkreises, die ggf. schlimmere Folgen haben könnten, bleibt aber bestehen.

Trotz allem freue ich mich auf den Herbst. Es ist gemütlich, wenn der Regen aufs Dach meiner Dachgeschosswohnung prasselt, während ich im Bett liege, Videos gucke oder lese. Heute habe ich mir zwei neue Bücher gekauft und mir vorgenommen, dies in nächster Zeit wieder regelmäßiger zu tun.

Die Regenzeiten der letzten zwei Tage beschränken sich auf die Nacht, den Vormittag und den Abend. Ich bleibe lange liegen, schaue Tour de France und erledige meine Projektarbeit aus dem Bett heraus.  Am späten Nachmittag setze ich mich selbst noch aufs Rennrad. Das „Stadtradeln“ – eine bundesweite Aktion, bei der es darum geht, 21 Tage lang möglichst viele Wege klimafreundlich mit dem Fahrrad zurückzulegen – findet dieses Jahr aufgrund von Corona im September statt. Ich bin motiviert, zumindest in die Nähe meiner Leistung aus dem letzten Jahr (> 800 geradelte Kilometer) zu kommen und hoffe auf entsprechend genug Wechsel zwischen Regen- und Trockenzeiten.

In Hinblick auf die Arbeit möchte ich mich darauf besinnen, mich einerseits von unnötigen Verantwortungsgefühlen hinsichtlich der Projektarbeit zu befreien und andererseits, meine Bedürfnisse und Meinungen in Bezug auf den umstrittenen Dissertations-Artikel offen und deutlich zu kommunizieren. Inwieweit das gelingt und inwiefern es bei den KollegInnen ankommt, wird sich zeigen...

Sonntag, 9. August 2020

Es gibt solche und solche

Sonntag. Ich bin nicht anders drauf als Samstag. Es ist immer noch heiß, sogar noch etwas heißer als gestern. Die für den Nachmittag angekündigte Gewitterfront wird heute wohl doch an Berlin vorbeiziehen.

„Es gibt solche und solche“ ist so ein Standardspruch von einer Freundin, wenn es um Unterschiede zwischen Menschen geht. Es gibt diejenigen, die in diesen Tagen fröhlich am See, am Meer oder im Schwimmbad den Sommer genießen und diejenigen, die alle Jalousien herunterlassen oder Vorhänge zuziehen und Trübsal blasen. Den Fernsehbildern voll voller Badeorte zufolge stellt die erste Sorte wahrscheinlich die Mehrheit, ich zähle leider zur zweiten Sorte.

Bis in den Nachmittag hinein schlafen klappt heute nicht noch einmal und so liege ich erstmal im Bett und versuche, mich so wenig wie möglich zu bewegen. Ich bin ganz froh, dass mich heute im Laufe des Tages keine Nachrichten erreichen und ich in meiner Inaktivität nicht mit der Aktivität anderer konfrontiert bin.

Um ein Haar wäre ich also ein weiteres Mal bis zum Abend einfach liegen geblieben. Irgendwann entscheide ich dann doch, mich aufzuraffen und noch eine Runde auf dem Rennrad zu drehen. 35 Grad Außentemperatur meldet der Außentemperatursensor, aber es weht ein leichter Wind und die Fahrt auf der schattigen Straße entlang der Havel ist trotz Hitze zu ertragen.

Zurück zu Hause reicht der Energieschub sogar noch, um eine Waschmaschine anzuwerfen und zwei Telefonate zu führen, danach schwitze ich einfach noch eine Weile auf dem Sofa vor mich hin und hoffe, dass die Temperaturen in der kommenden Woche wieder etwas sinken und die Stimmung sich wieder etwas heben wird.

Samstag, 8. August 2020

Depression und Hitzewelle

 Samstag. Es ist heiß geworden. Hoch Detlef bringt eine Woche Hochsommer nach Deutschland, danach soll es abkühlen, die Medien sprechen gar schon von Frühherbst. Nach meinem Stimmungshoch am Mittwoch, kam der gefühlsmäßige Frühherbst schon zum Ende der Woche. Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt. Ob mich diese Schwankungen mein Leben lang begleiten werden?

Ich kann gar nicht sagen, was los war oder passiert ist. Vielleicht waren es Kleinigkeiten, die mich im Laufe des Donnerstages aus der Bahn geworfen haben. Vielleicht wäre es auch ohne diese Kleinigkeiten so gekommen. Am Vormittag hielt ich als Videokonferenz eine Excel-Schulung für ein paar neue Mitarbeiter*innen. Ich mache so etwas wirklich gerne, aber in diesem Fall war es etwas ernüchternd. Ich sprach 90 Minuten gegen den Bildschirm, trotz meiner Ermunterung, mich jederzeit zu unterbrechen, um Rückfragen zu stellen, meldete sich im Laufe der Sitzung nur eine Teilnehmerin zu Wort. Auch auf meine Zwischenfragen, ob soweit alles verständlich war, erhielt ich leider keine Rückmeldungen. Den Teilnehmer*innen möchte ich das nicht zum Vorwurf machen. Aber ich vermisse die Zeit, in der wir zu Schulungen den großen Besprechungsraum gebucht, Laptops aufgebaut und für alle Kaffee gekocht haben, und in denen man die Teilnehmer*innen während der Schulung Übungen machen lassen, ihnen dabei über die Schulter schauen und ggf. unterstützen konnte. Das werde ich bis zum Ende meiner Zeit am Institut wahrscheinlich nicht mehr erleben.

Nach der Schulung mache ich draußen im Freien eine lange Nachmittagspause mit einer unseren studentischen Mitarbeiter*innen, die zum ersten Mal seit Mitte März wieder vor Ort arbeitet. Wir unterhalten uns gut und es ist schön, wieder die Möglichkeit zu direktem Kontakt zu haben. Aber auch hier bleibt ein gedämpftes Gefühl. Mir fehlen die Teamsitzungen, der Austausch, die Normalität, Struktur und Planbarkeit. Im September sollen in den Schulen wieder Aufgabenerprobungen stattfinden, normalerweise sind die Erprobungszeiträume und alle damit verbundenen Termine bis zu 2 Jahren im Voraus festgelegt. Wegen der Unsicherheit durch Corona und hinzukommender Personalwechsel konnte aktuell aber kaum etwas geplant werden und ich bin besorgt, dass dieses Versäumnis in den kommenden Wochen zum Problem wird. Zudem fühle ich mich verantwortlich, obwohl ich nicht verantwortlich bin und habe Angst, im Nachhinein verantwortlich gemacht zu werden.

Und dann ist da noch das Manuskript zur dritten Teilstudie der Dissertation. Das bald eingereicht werden soll bei einer Zeitschrift, bei der das Manuskript zur zweiten Studie abgelehnt wurde. Sorgen diesbezüglich habe ich mehrfach geäußert, aber sie finden nur wenig Gehör. Es muss diese Zeitschrift sein und es wird bestimmt alles anders laufen. Man hat ja aus den Fehlern gelernt, das Thema passt besser und überhaupt: das Manuskript ist doch schon richtig richtig super. Am Donnerstag kommt das Manuskript von einer weiteren Durchsicht der Koautor*innen zurück und in der Mail dazu steht sowas wie: „Für die [Zeitschrift] wird dann sicher (wieder) der Knackpunkt sein, ob sie die theoretischen Argumente abkaufen. Ich finde sie aber gut so und würde sie auch so lassen. Trotzdem könnte (…)“ Und trotz der auch hier enthaltenen Anmerkung, dass das Manuskript „schon sehr gelungen“ ist und der Tatsache, dass am Text selber nur wenige Änderungsvorschläge gemacht wurden, lese ich nur diese drei Sätze und denke den Rest des Tages: Wenn dieses Manuskript abgelehnt wird, hat sich das Thema Promotion für mich erledigt. Sechs Monate dauert es bei der Zeitschrift der Wahl im Schnitt bis zur Entscheidung über Annahme oder Ablehnung. In neun Monaten sollte die Dissertation im Wesentlichen fertig sein. Ein zweites Mal ein Manuskript für eine andere Zeitschrift in großen Teilen umzuschreiben und neu einzureichen, kommt da kaum in Frage. Kein Wunder also, dass bei der oben zitierten Anmerkung Panik aufkommt. Zumal mir diese auch wieder in Erinnerung ruft, dass das zweite Manuskript von der zweiten Zeitschrift, bei der wir versuchen es unterzubringen, ja auch noch nicht angenommen wurde …

Donnerstagabend bin ich schlecht drauf, Freitag widme ich mich dann den letzten Änderungsvorschlägen im Manuskript und hoffe, dass es bei der institutsinternen finalen Abnahme abgenommen wird. Und Samstag? Samstag möchte ich mal wieder nicht aufstehen. Wozu auch? Es ist heiß, mir graut es davor, nach draußen zu gehen. Ich habe nachts gut gelüftet und gegen 5 Uhr früh alles abgedunkelt, sodass es in der Wohnung immerhin unter 30 Grad bleibt. Ich bin innerlich leer und ausgelaugt, fühle mich unwohl, möchte heute nicht denken, sondern einfach nur schlafen. Ich bin vormittags wach, lasse das ZDF Kinderprogramm laufen in der Gewissheit, zwischen Michel aus Lönneberga und Pippi Langstrumpf wieder einschlafen zu werden. So kommt es dann auch.

Als ich schließlich wieder so richtig aufwache, ist es schon 15 Uhr. Ich bin einerseits froh, solange geschlafen und mich darüber von Gedankenkreisen befreit zu haben, andererseits fühle mich selbstredend schlecht angesichts meiner Inaktivität, insbesondere, wenn ich auf diversen Kanälen erfahre, was Fremde und Freunde an solchen Tagen so alles unternehmen. Eine Weile denke ich darüber nach, noch eine Runde Radzufahren oder spazieren zu gehen, aber Antrieb und Lustgefühl bleiben heute gänzlich aus. Ich verbringe also weitere Stunden mit Fernsehen, gehe schließlich noch einkaufen und setze mich am späten Abend bei etwas kühleren Temperaturen eine Stunde aufs Dach, um zu lesen, bis es dafür zu dunkel geworden ist.

Wenn das Beste am Tag ist, dass der Tag vorbei ist, kann irgendwas nicht ganz stimmen, denke ich. Aber so ist es an diesen Tagen. Ich bin froh, gegen 23 Uhr ins Bett gehen zu können, mache das Licht aus, reiße alle Fenster auf und schalte irgendein Medium ein, dass Ablenkung verspricht, über der ich einschlafen werde. Für morgen Nachmittag sind Gewitter angesagt. Mal sehen, was das für die Stimmung bedeutet…

Mittwoch, 5. August 2020

Ein Hauch Zufriedenheit

Mittwoch. Es gibt sie doch noch, die mehr oder weniger ganzheitlich erfüllten und erfüllenden Tage. Schon die Fahrt mit dem Rad ins Büro am Vormittag stimmt mich heute glücklich. Die Sonne scheint, es ist warm aber nicht zu warm, ich komme fast mühelos voran und erreiche dennoch Rekordgeschwindigkeiten. Knapp unter 40 Minuten Fahrtzeit ist so eine Schallgrenze, die ich nur an den besten Tagen durchbreche.

Am Institut ist heute richtig was los, mit mir sind ca. 15 Kolleg*innen da, es fühlt sich fast schon „normal“ an. Gegen Mittag werde ich von einer Kollegin eingeladen, mich ihr und ein paar anderen  zu einer gemeinsamen Mittagspause im Innenhof anzuschließen. Da ich gerade erst angekommen bin, ist es mir noch etwas zu früh, ich verspreche aber, in einer halben Stunde nachzukommen. Die Pause ist dann richtig nett, wir berichten uns gegenseitig von den Erfahrungen der zurückliegenden Urlaubsreisen und diskutieren und spekulieren natürlich auch über die aktuelle und zukünftige Corona-Lage.

Ich erledige wieder einiges an Projektarbeit und befasse mich dabei heute vor allem damit, die Corona-bedingten Verschiebungen an allen Ecken und Enden zu berücksichtigen und weitere Pläne für die schrittweise Rückkehr zum regulären Betrieb vorzubereiten. Danach gehe ich dazu über, das Paper fertig zu lesen, das um 17 Uhr in der Methodengruppe besprochen werden soll. Das Thema des Papers ist für eine meiner Dissertationsstudien relevant und der inhaltliche Austausch in der Gruppe ist heute absolut gewinnbringend. Im Anschluss trödel ich noch ein bisschen rum, bevor ich meine Sachen packe und mich auf dem Heimweg mache.

Heute wähle ich die Strecke durch den Tiergarten und den Ku’damm entlang. Wegen der vielen Fußgängerampeln fahre ich diesen Weg sonst nur sehr selten, aber heute habe ich Lust, noch ein bisschen Sommerabendstimmung aus der City West mit nach Hause zu nehmen. Es ist einiges los und wenn an der Ampel ein Auto mit heruntergelassenen Fenstern und lauter Musik steht, bewege ich mich – soweit auf dem Rad möglich – im Takt etwas mit und freue mich über das Lachen der Autofahrer, wenn sie mich dabei ertappen.

Auf dem zweiten, dem ruhigeren Teil der Strecke, sinniere ich über eine Frage, die wir uns zuvor in der Methodengruppe alle nicht recht beantworten konnten. Mit dem Gefühl, die Antwort doch noch erdacht zu haben, trete ich zum Ende hin etwas kräftiger in die Pedale, um den Gedanken zuhause festzuhalten und ihn durch nochmaliges Nachlesen im Paper ggf. zu verifizieren. Ich vermute, dass mir das gelungen ist, versuche, das Verfahren direkt an einem kleinen Anwendungsbeispiel zu illustrieren, und schreibe nach dem Abendessen noch eine die neue Erkenntnis erklärende Mail an die Gruppe.

Die Nachrichten, die mich über die Tagesschau und das ARD extra im Anschluss über die Explosionen und die Lage in Beirut erreichen, machen mir ein ums andere Mal klar, wie gut es mir eigentlich geht. Umso mehr bin ich heute dankbar, über einen für mich „guten“ Tag, an dessen Ende ich mit Zuversicht für den morgigen und zufrieden mit mir selbst ins Bett gehen werde.


Dienstag, 4. August 2020

Ein Tag zuhause

Dienstag. Die Tage könnten kürzer sein, denke ich mir heute. Ich muss für meine Verhältnisse früh aufstehen, von 9 Uhr 30 bis 11 Uhr 30 findet die erste von zwei Videokonferenzen des Tages statt. Ich nehme Teil in Vertretung für meinen zukünftigen Teamleiter, dessen für Anfang August geplanter Arbeitsantritt sich aufgrund von verwaltungstechnischen Verzögerungen (aka „die zuständige Stelle hat die ganze Sache verschlafen“) noch etwas verzögern wird. Die Besprechung ist inhaltlich ganz interessant und es stimmt mich positiv, dass man mich als Vertretung berücksichtigt hat. Spontan melde ich mich als mögliche Freiwillige für einen Vortag zum „operativen Tagesgeschäft“ des Arbeitsbereiches vor einer Delegation aus Slowenien und frage mich danach, warum eigentlich. Wahrscheinlich vor allem, weil ich Situationen, in denen still abgewartet wird, bis sich irgendjemand aus der Runde erbarmt, eine Zusatzaufgabe zu übernehmen, nicht besonders gut aussitzen kann. Vielleicht aber auch, weil der Vortrag auf Englisch eine Herausforderung wäre und Feedback einbringen würde, das mir (siehe gestern) derzeit fehlt.

Nach der Konferenz ist vor der Konferenz. Ich habe das Bett nicht verlassen und den Schlafanzug noch an – gemerkt hat’s trotz eingeschalteter Kamera scheinbar keiner ;) Die kleinen Vorteile der Videokonferenzen. Ich bleibe liegen und schaue vier Stunden Dokus. Mein Gefühl in solchen Momenten: Wenn ich jetzt aufstehe, ist der Tag einfach noch zu lang. Ich habe gestern viel gearbeitet, den Soll für die halbe Stelle werde ich mit zwei weiteren geplanten Arbeitstagen Mittwoch und Donnerstag mindestens erreichen. Aber abgesehen davon weiß ich nicht viel mit mir anzufangen. Um 16 Uhr 30 steht die zweite Videokonferenz an. Davor möchte ich eine Runde laufen, danach einkaufen. Bis es soweit ist, liege ich halt erstmal im Bett.

Mit der Laufrunde startet um 15 Uhr dann der Rest des Tagesprogramms. Einmal durch die Wohnung saugen, duschen, dann Konferenz N°2. Diese macht Spaß, ich wurde um Unterstützung mit einer Excel-Tabelle gebeten, so etwas mache ich gerne und lerne oft noch selbst dazu, wenn ich Fragen nicht ad hoc beantworten kann und recherchieren muss. Eineinhalb Stunden beschäftigt mich also Excel, um 18 Uhr gehe ich dann einkaufen. Nach dem Einkaufen: Kochen, Essen, ein paar Absätze in einem Paper lesen, das morgen in der „Methodengruppe“ besprochen wird, eine Rassel fertig häkeln. Brötchen backe ich zwischendrin auch noch. Im Hintergrund läuft ZDF: Der große Dr. Oetker Report (Fazit: Zu viel Zucker, gegenüber der Konkurrenz zu teuer, in Bezug auf die verarbeiteten Rohstoffe zu intransparent.), Frontal 21 (Fazit: Leute, haltet Abstand, die Fallzahlen steigen wieder. Und glaubt keinen Verschwörungstheorien, die Fallzahlen steigen wieder!) und das Heute Journal (Fazit: Fußballfans wollen wieder in Stadion, der AFD-Fraktionsvorsitzende will der Fraktion nicht mehr vorsitzen und der spanische Ex-König will ins Exil.).

Mein Fazit: Acht bis neun Stunden Tag hätten mir heute gereicht. Das im Bett bis zum Nachmittag ausharren, das zurzeit wieder zuhauf vorkommt, gibt kein gutes Gefühl. Es ist aber einfach eine gut funktionierende Strategie, den Tag einigermaßen rumzubringen. Das Nachmittags- und Abendprogramm stimmt mich zumindest zufrieden. Und morgen fahre ich wieder ins Büro.


Montag, 3. August 2020

Ein Tag im Büro

Montag. Nachdem ich das Bett die letzten drei Tage nicht vor dem Nachmittag verlassen habe, raffe ich mich heute um 10 Uhr auf und fahre ins Büro. Aufstehen, Alltag, Struktur, Routine, … Normalität? Im Büro wartet keiner auf mich. Die Punkte auf der To-Do-Liste sind selbst erdacht. Dinge, die dem Projekt irgendwann mal zugutekommen könnten. Allerdings erst, wenn ich nicht mehr daran beteiligt sein werde. Ich könnte mich in die Arbeit stürzen – ich könnte aber auch nach Hause fahren und mich wieder ins Bett liegen. Es hätte – zumindest hier und heute – keine Konsequenz.

Am Brandenburger Tor bahne ich mir den Weg mit dem Rad durch die Touristen. Sie sind wieder in der Stadt. Es waren – an so manch einem anderen trockenen Montagvormittag Anfang August bei angenehmen 20 Grad – aber auch schon deutlich mehr. Im Büro angekommen lüfte ich erstmal, koche Kaffee, gieße die Pflanzen und revidiere dabei die Meinung, es hätte niemand auf mich gewartet. Für die Pflanzen hat sich meine Fahrt ins Büro also schon mal gelohnt. Ich trage mich in die Anwesenheitsliste ein, die mir verrät, dass heute fünf weitere Kolleg*innen am Institut sind. Im Laufe des Vormittags kommen vier davon an meiner offenen Tür vorbei – wir sagen kurz Hallo und führen einen kleinen Smalltalk. Aufgrund dieser Begegnungen beschließe ich, dass sich die Fahrt auch für mich gelohnt hat. Wenngleich die Stimmung noch immer eher trüb als heiter ist.

16 Uhr. Ich bin in den Flow gekommen und habe einiges abgearbeitet. Und darüber sogar so ein kleines bisschen Befriedigung generiert. Eine unserer studentischen Mitarbeiterinnen arbeitete parallel im Homeoffice und wir gaben uns fast zeitnah übers Projektmanagement-Tool Feedback. Immerhin. Nicht ganz allein auf weiter Flur.

In einer kurzen Pause vertrete ich mir draußen die Beine, werfe einen Brief ein und hole ich mir im Supermarkt gegenüber etwas zu essen. Ich nehme mir vor, noch ca. zwei Stunden für die Dissertation zu arbeiten. Nichts Inhaltliches heute, nur sowas wie Textverarbeitung, Literaturverwaltung, etc. Es klappt ganz gut und ich bin einigermaßen motiviert, mich in den kommenden Tagen neu in ein Programm einzuarbeiten, dass ich zuletzt für die Mastarbeit genutzt habe.

Ich fahre nach Hause, das Radfahren tut gut und am Abend sitze ich auf dem Sofa, schaue eine begrenzt intellektuelle Fernsehsendung, häkle einen Satz Elefantenohren und denke zum Ende des Tages „Es geht wohl wieder ein wenig aufwärts.“

Sonntag, 2. August 2020

Status-Update N°3 – Unmut, Antriebslosigkeit und harte Zeiten

Die letzten Wochen waren anstrengend. Nachdem ich abrupt und frustriert meine Radtour beendet hatte, fiel es mir schwer, mich zuhause wieder in meinem Alltag einzufinden. Zumal dieser auch noch einmal durch einen Besuch in der Heimat und bei der Oma unterbrochen wurde – das waren auch wirklich schöne, abwechslungsreiche Tage und es tat gut, „alle“ nach so vielen Monaten mal wieder gesehen zu haben. Zumindest die kleine Runde, in der wir mit gutem Gewissen einen gemeinsamen Besuch gewagt haben. Die alljährliche große Feier zu Omas Geburtstag, zu der dann auch wirklich „alle“ anreisen, wird hoffentlich im nächsten Sommer wieder stattfinden können.

Im nächsten Sommer? Es fällt mir schwer, mir das vorzustellen. Ein „Ende“ der Pandemie scheint derzeit nicht in Sicht – im Gegenteil, die steigenden Fallzahlen in Deutschland werden zuletzt fast täglich als „Grund zur Sorge“ betitelt. „In Zeiten von Corona“ ist medial schnell wieder zu einer inflationär verwendeten Phrase geworden. Und es heißt, „dass wohl noch eine lange Zeit vergehen wird“, bis wir wirklich wieder von „Normalität“ sprechen können.

Ich überlege mir manchmal, wie das mit einer Impfung ablaufen könnte. Wird irgendwann ein Tag X kommen, an dem die Zulassung eines Impfstoffes verkündet wird? Wie wird dieser verteilt? Können wir uns dann „einfach“ einen Arzttermin machen, uns impfen lassen und uns von jetzt auf gleich wieder so wie „vor Corona“ verhalten. Vielleicht etwas hygienebewusster, mit etwas weniger Händeschütteln und etwas mehr Händewaschen, vielleicht mit etwas mehr Abstand im Alltag – zumindest dann, wenn man Erkältungssymptome o. Ä. hat?

Diese Tag-X- bzw. von-jetzt-auf-gleich-Vorstellung erscheint mir surreal. Aber auch ein schleichender Prozess ist schwer vorstellbar. Entscheidet man dann – wenn es irgendwann keine offiziellen Richtlinien mehr gibt – einfach für sich, welche Maßnahmen, man noch für angemessen hält? Wie gut kann das im Miteinander funktionieren, wenn man unterschiedliche Ansichten hat?

Ich denke v. a. an die Arbeitssituation, insbesondere von Menschen, die wie ich einem Bürojob nachgehen. Mittlerweile habe ich - da ich ein Doppelbüro derzeit alleine besetze – die Freiheit, wann ich es möchte, wieder im Büro zu arbeiten. Das Führen von Anwesenheitslisten und das Einhalten von Abstands- und Hygieneregeln, stellt für mich kein Problem dar. Und ich bin wirklich dankbar, wieder die Möglichkeit zu haben, (räumliche) Distanz zur Arbeit zu schaffen und in einer reizarmen und technisch adäquat ausgestatteten Umgebung zu arbeiten und zumindest ab und an ein kurzes persönliches Gespräch zwischen Tür und Angel zu führen.

Trotzdem hat sich nach den ersten paar Bürotagen auch eine gewisse Ernüchterung eingestellt. Einerseits, weil es sehr ruhig ist. Weil aktuell noch Urlaubszeit ist, weil die Doppelbüros nur einfach belegt werden dürfen, aber vor allem, weil die allermeisten weiterhin von zuhause aus arbeiten. Und ein bisschen frage ich mich da: Wird die Freiheit „im Homeoffice zu arbeiten“ irgendwann auch wieder eingeschränkt? Ich würde mir das nach den Erfahrungen der letzten Monate auf jeden Fall wünschen. Einfach, weil manche Mitarbeiter*innen nur noch schwer „greifbar“ sind, ich aber teilweise die Verantwortung dafür trage, ihnen Aufgaben zu übergeben, sie einzuweisen und zu kontrollieren, inwiefern die Aufgaben erledigt wurden.

Und, weil ich es für absolut sinnvoll erachte, früher oder später wieder von Angesichts zu Angesicht zu verhandeln. Die fast ausschließlich digital stattfindende Kommunikation empfinde ich zunehmend als anstrengend – sowohl das viele Telefonieren und Videokonferenzieren als auch die viele schriftliche Kommunikation, bei der es teilweise nur um Kleinigkeiten geht, die früher einfach auf die Schnelle im direkten Gespräch geklärt wurden. Und, und das ist vielleicht noch ein stärkeres Argument: es erscheint mir ineffizienter. Die Kommunikation läuft schleppender, weniger direkt, impulsiv, emotional. Auch das kann natürlich anstrengend sein, ist aber doch auch oft zielführend und fördert den Teamgeist. Eine kontroverse Diskussion mit dem Gefühl zu beenden, wieder gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Das gab es in Videokonferenzen auch, aber eher vereinzelt. Und die Möglichkeit, Ton und Bild auszuschalten und irgendwie „abwesend anwesend zu sein“ gibt es im Konferenzraum nicht.

Zurzeit arbeite ich Sachen ab, für die im normalen Betrieb nur wenig Zeit bleibt. Eine große Übersichtstabelle, die den Output der vergangenen Jahre dokumentiert. Und Leitfäden, die meinen Arbeitsbereich abdecken. Alles Dinge, die hoffentlich irgendwann mal dem Team und meiner/meinem Nachfolger/in zugutekommen werden. Um die mich aber aktuell niemand bittet und für die sich bei mir persönlich vielleicht auch nie jemand bedanken wird. Wenn ich es nicht tun würde, wäre es vielleicht irgendwann problematisch, vielleicht aber auch nicht. Ich könnte es auch sein lassen, vielleicht würde sich irgendwann jemand über mich ärgern, der Ärger würde mich aber wohl nicht mehr direkt erreichen.  

Ich vermisse Stress, Abgabefristen, klare und zeitnah zu bewältigende Aufgaben und hier und da eine direkte Rückmeldung in Form eines „Gut gemacht“. Ohne den Austausch und Feedback von Kolleg*innen schaffe ich es nur schwer, mich intrinsisch zu motivieren, Antrieb und nach getaner Arbeit ein Gefühl der Befriedigung zu generieren. Und das ist es, was fehlt und was meine trübe Stimmung nährt. Eine Strategie, dem zu entkommen, habe ich im Moment leider nicht. So endet dieses Update und der Sonntagabend mit dem vorherrschenden Gefühl der inneren Leere und Sinnlosigkeit des eigenen Tuns. Ich nehme mir aber immerhin in diesem Moment vor, einigermaßen frohen Mutes die kommende Woche anzugehen und noch ein paar Maschen zu häkeln: denn hier gibt es noch Auftraggeberinnen, die auf Rasseln und Kuscheltiere warten und ein ehrliches und positives Feedback ist mir in diesem Fall doch relativ gewiss.

Sonntag, 12. Juli 2020

Urlaub, Tag 5 und 6: Ein Tag in Hamburg und ein jähes Ende

Mittwoch mache ich ganz planmäßig einen Tag Pause in Hamburg. Ich werde von der Sonne geweckt, trinke an der Hotelbar einen Kaffee, schreibe eine Runde Postkarten und breche dann auf, um die Stadt zu erkunden. Über den Platz der Republik und am Altonaer Rathaus vorbei laufe ich zum „Altonaer Balkon“, von wo aus ich einen beeindruckenden Blick über den Hamburger Hafen habe. An der Elbe entlang geht es weiter bis zur Elbphilharmonie und zur Speicherstadt. Dort biege ich links ab und laufe am Alsterfleet entlang in Richtung Binnenalster/Rathausplatz.



Dort überrascht mich der erste Regenschauer. Aus dem Nichts heraus kommt ziemlich viel Wasser vom Himmel, ich habe keine Regenjacke an und stelle mich unter – die Hamburger hingegen laufen weiter, als wäre es nichts. Im weiteren Verlauf des Tages erlebe ich noch 2-3 weitere Schauer und vermute, dass man sich daran mit der Zeit wohl zu gewöhnen scheint.



Gegen Mittag hole ich meine ehemalige Arbeitskollegin an ihrer neuen Arbeitsstelle ab. Am Alsterufer laufen wir weiter Richtung Hamburg-Eppendorf, von dort aus geht es am Isebekkanal zurück in Richtung Sternschanze. Wir haben uns viel zu erzählen und halten trotzdem immer wieder inne, um die verschiedenen Charakter der Stadtviertel und ihrer BewohnerInnen einzuordnen.

Als Ziel haben wir die „Eisbande“ auserkoren- eine in der Vegan-Szene über die Grenzen Hamburgs hinweg bekannte Eisdiele, deren Besuch sich mehr als lohnt. Anschließend trinken wir im Laden gegenüber einen Kaffee, um uns aufzuwärmen – mit Temperaturen um die 15-20 Grad habe ich für Anfang Juli wahrlich nicht gerechnet. Gestärkt geht es weiter durchs Schanzenviertel bis zur WG von meiner ehemaligen Kollegin – und von dort für mich am Abend zurück zum Hotel.

Hier schalte ich als erstes den Fernseher an. Das wichtigste für die Weiterfahrt: die Wetterprognose. Diese ist leider nicht gerade vielversprechend. „Zwei Regentage liegen noch vor uns“, heißt es aus dem ZDF-Wetterstudio. „Und zwei Etappen liegen noch vor mir“, denke ich ernüchtert und beginne, mich mit verschiedenen Alternativen für die Weiterfahrt zu befassen. Am Abend bin ich noch voller Hoffnung, die nächste Etappe trotz schlechter Prognose antreten zu können. Die Strecke führt parallel zur Bahnlinie und ich könnte alle paar Kilometer abbrechen und den Zug nehmen.



Am nächsten Morgen wird aber schnell klar, dass es keinen großen Sinn macht, aufs Rad zu steigen. Der Regen ist einfach zu stark und soll den ganzen Tag über anhalten. Und nicht nur das: auch für den Folgetag sieht es leider nicht besser aus. Da zwar die Zugverbindung von Hamburg nach Bremerhaven recht gut, die Zugverbindung für die geplante letzte Etappe von Bremerhaven nach Wilhelmshaven keine besonders reizvolle Option ist, entscheide ich irgendwann schweren Herzens, die Tour an dieser Stelle abzubrechen und den Zug zurück nach Berlin zu nehmen. Das fällt mir besonders schwer, da ich in Wilhelmshaven noch einen Freund besuchen wollte, den ich schon mehrere Jahre nicht mehr getroffen habe. Aber inkl. Rückfahrt nach Berlin noch über 10 Stunden im Zug und diverse Umstiege mit Fahrrad und Gepäck möchte ich nicht auf mich nehmen.



So verbringe ich also den Vormittag in einem Kaffee am Bahnhof Altona, blicke aus dem Fenster auf das im Dauerregen geparkte Fahrrad und die hartgesottenen Hamburger, die gemütlich auf der (überdachten) Terrasse sitzen, und warte auf die Abfahrt des ICE, in Richtung Berlin. Am Abend erfahre ich in den Tagesthemen, dass für den Ort Bremervörde, der mein heutiges Mittagspausenziel gewesen wäre, mit 13,6 °C die niedrigste Juli Höchsttemperatur in Deutschland seit 30 Jahren verzeichnet wurde. Das Wetterglück war mir auf dieser Tour einfach nicht hold.

An den folgenden Tagen ist meine Stimmung ziemlich gedrückt. Anders als bei früheren Radtouren habe ich nicht das Gefühl, etwas „erreicht“, etwas „geleistet“ zu haben. Mit fehlt sowohl die intrinsische Bestätigung als auch die Anerkennung von außen, die mir sonst bei der Ankunft am Zielort entgegengebracht wurde. Ich bin unausgeglichen und unzufrieden mit mir selbst und es fällt mir schwer, mich neu auszurichten. Ich hoffe, das gelingt mit dem Start in die neue Woche und nehme mir an dieser Stelle vor, mal wieder regelmäßig den einen oder anderen Blogbeitrag zu veröffentlichen.

Dienstag, 7. Juli 2020

Urlaub, Tag 4: Zwischenstopp in Hamburg

Heute Morgen steht nur eine einzige bange Frage im Raum: Was macht der Wind? Komme ich heute besser voran? Ja! Das Schicksal ist mir hold, der Wind bläst mir zwar immer noch tendenziell entgegen, das aber vergleichsweise schwach und ich mache die schöne Erfahrung, dass man auf dem Elbdeich auch in „normalem“ Tempo und mit „normalem“ Kraftaufwand radeln kann. So bin ich schnell wieder motiviert - und darin auch gut beraten, denn ich muss ja noch 35 km von gestern nachholen!


Den ursprünglich für gestern geplanten Übernachtungsort erreiche ich heute nach ca. 2 Stunden. Die Entscheidung des gestrigen Abbruchs bereue ich heute nicht mehr - gestern hätte ich wohl doppelt so lange gebraucht und wäre noch x Mal nass geworden. Heute scheint immer wieder die Sonne, ich vertreibe mir die Zeit mit Storche zählen (beim zwanzigsten !!! höre ich auf - es sollten aber noch einige folgen) und schaffe 65 km, bevor ich mich zu einer Mittagspause entschließe.


Plan A – nach Lüneburg abzuzweigen und von dort mit dem Zug bis Hamburg zu fahren – verwerfe ich. Der Gedanke, es vielleicht doch mit Muskelkraft bis Hamburg zu schaffen, ist heute zu reizvoll. Plan B – in Hamburg Bergedorf die S-Bahn zu nehmen und mir die letzten 20 km zu sparen, mache ich dann irgendwann vom Wetter abhängig: kommt der für den Nachmittag angekündigte Regen, nehme ich die Bahn, kommt er nicht, fahre ich durch.


Es blieb trocken. Zumindest bis Hamburg. Kurz vorm Hauptbahnhof fing es dann doch noch ziemlich zu regnen an und für die letzten 7 km bis zu meinem Hotel in Hamburg-Altona kommt die Regenkluft mal so richtig auf ihre Kosten. Und ich denke mir: „Du bist in Hamburg, was erwartest du?“ Bei Ankunft stehen heute 120 km auf dem Tacho – ich bin k.o., freue mich über das schöne Zimmer und nehme eine ausgiebige heiße Dusche. Am Abend treffe ich noch eine Verabredung für den nächsten Tag, an dem ich einen Tag Pause einlegen werde, gucke Dokus und genieße die Vorfreude – morgen soll es keinen Regen geben!

Montag, 6. Juli 2020

Urlaub, Tag 3: Gegenwind

Heute zittere ich beim Losfahren: Lebhafter Westwind ist angekündigt, in Verbindung mit meiner Fahrtrichtung West-Nordwest eher nicht das, was ich mir für eine 120 km Etappe gewünscht hätte. Aber mir bleibt keine andere Wahl, als trotzdem loszufahren, und so fahre ich trotzdem los und harre der Dinge, die da kommen bzw. wehen. Heute bin ich sogar noch früher dran als gestern und nehme mir vor, die Strecke in aller Ruhe anzugehen.

Am Ende des Tages bin ich dann aber leider doch ganz schön unzufrieden mit mir. Kurz gesagt: ich habe kapituliert. Der Wind war einfach zu stark und ich merke schon auf den ersten 10 Kilometern, dass dagegen anzukämpfen und mit im Schnitt 15 km/h an der Elbe entlang eiern, mir keinen Spaß macht. Also muss eine Alternative her und die Suche danach gestaltet sich gar nicht so einfach. Via Telegram vergebe ich einen Rechercheauftrag an Mama, um selbst in die Pedale treten und zumindest etwas vorankommen zu können. Doch das Fazit ist ernüchternd. Irgendwo ein Stück mit dem Zug zu fahren, um den Weg zur gebuchten Unterkunft abzukürzen, ist keine Option. Eine geeignete Bahnlinie befindet sich nicht in der Nähe. Also bleibt nur weiterfahren und notfalls ein früheres Etappenziel mit Übernachtungsmöglichkeit wählen.

Viel mehr habe ich dann auch nicht zu berichten. Ich versuche nicht ganz die Moral zu verlieren, sehe drei Rehe, dutzende Greifvögel, hunderte Schafe, komme einem Storch ganz nah und kämpfe mich Meter für Meter voran. In Wittenberge mache ich eine Pause, die das Wort Pause nicht verdient hat, da es anfängt zu regnen und ich unter einem notdürftigen Unterstand gegenüber vom Marktplatz zu frieren beginne, im Stehen nur schnell ein Brötchen esse und als der Regenschauer vorbei gezogen ist weiterfahre, bevor mich der nächste ereilt.



Weitere Pausen mache ich nicht, muss allerdings oft genug anhalten, die Wind- gegen die Regenjacke tauschen, die Regenhose an- und kurz später wieder ausziehen oder einfach meinem Wetterfrust frönen und tief durchatmen, bevor es weitergeht. Ich habe mir vorgenommen, 80 km bis Dömitz zu fahren und weiß, dass ich dort sicher eine Unterkunft finden werde – notfalls das 3 Sterne Hotelzimmer für 150 € die Nacht. So tief muss ich dann doch nicht in die Tasche greifen, in der Radlerpension bekomme ich ein günstiges und wirklich gemütliches Einzelzimmer. Dabei erklärt mir die Herbergsmutter am Telefon zunächst, sie könne mir nur noch ein Doppelzimmer anbieten. Als ich 10 Minuten später vor der Pension stehe, erfahre ich, sie habe das Zimmer vor 5 Minuten an eine andere Person vermietet, aber ich würde sicher bei der Pension gegenüber noch etwas bekommen. Und als ich mich freundlich und verständnisvoll verabschiede und auf dem Absatz kehrtmache, bietet sie mir erst doch noch ein anderes Doppelzimmer an und führt mich letztlich in ebendieses Einzelzimmer, das dann plötzlich doch frei zu sein scheint. Die spontan überlegt und etwas willkürlich wirkende Zimmer-Vergabe-Politik verstehe ich nicht im geringsten, bin aber froh und dankbar, nehme eine Dusche und bummel dann noch einmal durch den beschaulichen Ort und seine sanften Sommerregenschauer.



Die Regenschauer bestärken mich darin, dass es sinnvoll war, nicht weitergefahren zu sein. Aber ärgern tue ich mich trotzdem. Auf meinen früheren Touren waren 110-120 km der Standard – auf dieser Tour genügen mir 80-90 km am Tag, was nicht daran liegt, dass ich körperlich erschöpft bin. Vielmehr stelle ich die letzten Tage fest, dass ich einfach nicht mehr so viel Lust auf diese „echten“ Tagestouren habe und es mir gerade mehr liegt, den Nachmittag und Abend Zeit zu haben, die Zielorte noch zu Fuß zu erkunden. Das fühlt sich ein bisschen nach Niederlage an, aber rein rational gesehen ist es doch nur eine wertvolle Erkenntnis, denke ich mir. Morgen, so hoffe ich, wird es etwas windstiller sein. Dann werde ich dem Elberadweg auch frohen Mutes eine zweite Chance geben!

Sonntag, 5. Juli 2020

Urlaub, Tag 2: Rückenwind

Die zweite Etappe meiner Tour führt mich von Brandenburg an der Havel nach Havelberg. Die wichtigste Frage heute: Hält das Wetter? Es scheint so. Die Prognosen wurden von Tag zu Tag besser und als ich am Morgen in die Wetter-App schaue, ist kein Regen mehr angekündigt. Dafür Wind und das nicht zu wenig. Weil der im Laufe des Tages stärker werden soll und ich ohnehin eher unruhig geschlafen und früh aufgewacht bin, breche ich noch vor 9 Uhr auf. Und weil ich den doch sehr dunklen Wolken am Himmel nicht so recht über den Weg traue, entscheide ich mich heute (wo das noch gut möglich ist) für die kürzere Variante der Strecke. Ich lasse die Havel zunächst links liegen und folge der Bundesstraße bis Rathenow. Die Landschaft ist schön, der Verkehr ist ruhig und die Straße ist stets begleitet von einem bestens ausgebauten Radweg. Rathenow erreiche ich noch vor halb elf, die Innenstadt ist mehr oder weniger ausgestorben, doch zumindest eine Bäckerei hat geöffnet und ich versorge mich erstmal mit Kaffee und Brötchen. Meinem Umweltbewusstsein zum Trotz in Papiertüte und Einwegbecher. Den Mehrwegbecher habe ich ärgerlicherweise zuhause vergessen und das „Brotsackerl“ steckte leider einfach zu weit unten in der Fahrradtasche.


Ich finde ein schönes Plätzchen zum Verweilen und unterhalte mich kurz mit einer älteren Dame mit Rollator, die ebenfalls Brötchen holen war und recht beeindruckt von meinen Reiseplänen ist. Irgendwann wird es dann aber doch ziemlich ungemütlich, weil der Wind einfach zu stark ist und mir sogar die Tüte mit noch zwei Brötchen drin wegpustet.



Das Gute beim Fahren: der Wind bläst in die richtige Richtung. So profitiere ich deutlich und komme auf dem zweiten Abschnitt richtig gut voran. Nach Rathenow folge ich auch wieder dem Havelradweg und was soll ich sagen … ein schöneres Stück Radweg bin ich selten gefahren! Fernab jeglicher Straßen führt der Weg durch wunderschöne Landschaften des „Ländchen Schollene“, abwechselnd gesäumt von Wald und Wiese, weitestgehend Naturschutzgebiet. Begegnen tut mir kaum jemand und ich wundere mich, warum auf dieser schönen Strecke nicht mehr Radler unterwegs sind. Fotos mache ich allerdings auch kaum – ein einziges soll es zwischen Rathenow und Garz gewesen sein. In Garz mache ich Mittagspause, bestaune die Fachwerkrundkirche aus dem Jahr 1688 (die angeblich schiefer als der Schiefe Turm von Pisa ist) und die Backsteinbauernhöfe, und setze mich kurz an einen Rastplatz, bevor mich auch hier der Wind im wahrsten Sinne des Wortes weitertreibt. Auf den letzten 15 km muss ich dann doch nochmal gegen ihn kämpfen, komme aber trotzdem gut und sehr zeitig (14 Uhr 30) am Zielort Havelberg an.



So bleibt auch heute wieder ausreichend Zeit für eine kleine Besichtigungsrunde. Der Stadtkern von Havelberg ist eine Insel zwischen zwei Havelarmen, eigentlich „spektakulär“ (Zitat Reiseführer). Leider ist auch diese Stadt ziemlich verlassen und es herrscht jede Menge Leerstand, ca. jedes zweite Ladengeschäft scheint betroffen. Ich spaziere vorbei an der Stadtkirche St. Laurentius und finde ein geöffnetes Café, an dem ich ein Eis essen kann, erklimme die Domtreppe und blicke auf die Stadt herab. Auch den Dom selbst schaue ich mir an und mache mich dann wieder auf den Weg durch die Stadt zurück zu meiner Pension. Und nun überrascht mich doch noch ein Regenschauer, die letzten Meter renne ich, nass werde ich trotzdem. Am Abend schaue ich Fernsehen, telefoniere, arbeite mich durch den ersten Teil einer Uni-Hausaufgabe, die ich nächsten Dienstag noch abgeben muss, und plane die Strecke für morgen.



Samstag, 4. Juli 2020

Urlaub, Tag 1: Start der Radreise

Nach dem jähen Ende des Isolationstagebuchs wage ich spontan einen Neustart. Es gibt immer noch Corona, es gibt immer noch Isolation, es gibt immer noch Maskenpflicht, Abstandsregeln, Hygienevorschriften, Homeoffice und viel zu viele Videokonferenzen. Aber es gibt auch Veränderungen. Es gibt nämlich nicht mehr so viel Corona. Zumindest nicht in Deutschland.

Damit hat auch die Medienpräsenz deutlich abgenommen. „Es gibt keine Zahlen mehr“ dachte ich mir vor einigen Wochen. Die „Corona-Tabelle“ auf der Startseite von Spiegel Online war verschwunden. (Man findet die Tabelle aber immer noch unter https://www.spiegel.de/thema/coronavirus/. Und der Blick auf einige andere Länder ist leider auch immer noch besorgniserregend.) Es gibt nur noch selten das „ARD Extra: Die Corona-Lage direkt nach dieser Tagesschau“. Und das NDR Coronavirus-Update mit Christian Drosten hat sich gar bis Ende August in die Sommerpause verabschiedet.

In kleinen Schritten wird „alles“ wieder ein bisschen „normaler“. Ich war mal wieder bei meinen Eltern in Würzburg, habe mich ganz vereinzelt mal wieder mit Freunden getroffen und seit zwei Wochen darf ich zumindest an zwei Tagen die Woche wieder in mein Büro. Eine große Erleichterung! Mehrere Stunden am Stück in reizarmer Umgebung konzentriert und ohne Unterbrechungen arbeiten – das ist für mich zuhause einfach nicht machbar.

Jetzt ist aber erstmal Urlaub. Und auch den verbringe ich mehr oder weniger „normal“. Dass ich auch dieses Jahr wieder eine Radreise machen werde, hatte ich mir schon vor Corona vorgenommen. Heute ging’s los und damit starte ich hier mein Urlaubstagebuch. Jeden Tag eine kurze Zusammenfassung und ein paar Bilder. Mal sehen, ob das klappt. Die diesjährige Tour führt in sechs Etappen über Hamburg nach Wilhelmshaven an die Nordsee. Die erste Etappe führte mich von Berlin über Potsdam und Werder an der Havel nach Brandenburg an der Havel. Ab Wannsee immer entlang der Havel. Kurz zusammengefasst: viel Wasser, viel Wiesen, (ein bisschen zu) viel Wind (aber an den werde ich mich wohl noch gewöhnen müssen).



Die Havel ist ein besonderer Fluss, weil sie durch zahlreiche kleine und größere Seen fließt. Wannsee, Jungfernsee, Tiefer See, Templiner See, Petzinsee, Schwielosee, Zernsee, Göttinsee, Trebelsee – die ersten 50 km folgte ein See dem nächsten und wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich wohl gar nicht gemerkt, dass ich eigentlich an einem Fließgewässer unterwegs bin. In Werder verliere aufgrund von Baustellen und Umleitungen und viel Verkehr den Radweg und fahre 5 km im Kreis. Ärgerlich, aber angesichts der vergleichsweise kurzen Startetappe noch zu verschmerzen.


Nach Werder radelt man „auf dem Deich“ – rechts die Havel, teilweise hinter einem schmalen Baumstreifen versteckt, links Wiesen, Felder und etliche Pferdekoppeln. Bestens geeignet, um die Gedanken schweifen zu lassen und monoton in die Pedale zu treten. Orte passiere ich keine mehr und bin froh, dass ich mich vorausschauend in Werder versorgt habe und an einem Picknickplatz irgendwo im nirgendwo eine Mittagspause machen kann.




Auf dem zweiten Teil der Tour fängt es immer wieder an, ganz leicht zu nieseln. Aber ich habe Glück und mehr als diese paar einzelnen Tropfen kommt heute nicht vom Himmel. Das heutige Ziel erreiche ich dann nach 85 km schon am Nachmittag. In einer kleinen, familiär geführten Pension werde ich freundlich empfangen, beziehe mein Zimmer und habe nach dem Duschen und kurzen Ausruhen noch genug Energie für eine Runde durch die Stadt, vorbei an ein paar historischen Bauwerken, Denkmälern, Kirchen und natürlich einer Eisdiele. Den Abend begleitet dann das spannende Ende des DFB-Pokalfinales der Damen und das weniger spannende DFB-Pokalfinale der Herren.

Freitag, 1. Mai 2020

Isolation, Tag 37 bis 45: Corona nervt

„Und was machst du so?“ fragen wir uns und wir teilen unsere Erfahrungen über Messenger, auf Blogs, in Podcasts, in Videos, … Und oft fragen wir uns auch „Wie geht’s (dir)?“

Ich mag die Frage nicht besonders. In unserer alltäglichen Kommunikation wird sie aus meiner Sicht viel zu inflationär gebraucht. Und mindestens genauso inflationär beantworten wir sie mit „Gut.“ Das nimmt der Sache ein Stück weit ihre Bedeutsamkeit, was eigentlich schade ist, denn grundsätzlich ist am Erkundigen nach dem Wohlbefinden des Gesprächspartners ja nichts verwerflich. Im Gegenteil. Varianten wie „Wie fühlst du dich?“, „Was beschäftigt dich?“ oder „Wie geht es dir mit …?“ können Abhilfe schaffen, lösen aber auch gern mal die ein oder andere Irritation beim Gegenüber aus.

In den letzten Wochen hat sich meine Einstellung zur Frage „Wie geht’s (dir)?“ verändert. Es kommt mir vor, als würde sie weniger einfach so dahingesagt. Man nimmt die Frage wieder ernst, denke ich. Und antworte nun selbst inflationär häufig mit „Gut.“ Viel häufiger, als ich das sonst so zu tun pflegte.

Dabei geht es mir gar nicht besser als sonst, im Gegenteil. Die Situation bereitet auch mir große Sorgen, wobei die anfänglichen Sorgen um unsere Gesundheit und unser Gesundheitssystem mehr und mehr den Sorgen um allgemeine gesellschaftliche und vor allem ökonomische Auswirkungen der Krise gewichen ist. Was sich verändert hat, ist mein Referenzrahmen beim Beurteilen meiner Lage und meines Wohlbefindens.

Ich sehe, wie viele Menschen durch Corona in echte existentielle Not geraten, und fühle mich selbst unheimlich privilegiert. „Womit habe ich das verdient?“, frage ich mich und denke, „Die Welt ist einfach nicht gerecht.“ Ich kann von Zuhause aus arbeiten, muss mir keine Sorgen um meine Gehaltsfortzahlung und das Decken meiner laufenden Kosten machen, ich muss keine Schulkinder betreuen und keine KiTa-Kinder bei Laune halten, ich bin gesund, Freunde und Familie sind es ebenfalls. Ich habe alles, was ich zum Leben brauche – und noch so viel mehr.

Wenn ich in diesen Tagen jammere, dann jammere ich nicht nur auf hohem, sondern auf höchstem Niveau. Das ist mir vollkommen bewusst. Dennoch erlaube ich es mir von Zeit zu Zeit, ein wenig zu jammern, und halte es sogar für richtig und wichtig im Umgang mit mir und der Situation. Mein größtes Problem? Ganz offensichtlich die schon lange nicht mehr guten Gewissens vorzeigbare Corona-Frisur. Das zweitgrößte? Corona nervt.

Mich nervt die Unsicherheit wie es weitergehen wird. Mich nervt die immer noch andauernd geäußerte Floskel „Wir stehen noch ganz am Anfang der Epidemie.“ Mich nervt die unmittelbar daran anschließende Frage „Wie soll es denn enden, wenn das erst der Anfang ist?“ Und mich nerven die unzähligen alten und neuen, veralteten und nicht alt werdenden Regelungen. Regelungen, die plötzlich da sind, auch wenn es lange hieß, sie würden nie kommen. Und Regelungen, die gelockert werden, was für die einen viel zu spät, für die anderen viel zu früh und für uns alle mit dem Hinweis kommt, sie könnten jederzeit wieder verschärft werden.

Aber besonders nervt mich, dass ich mein eigenes Verhalten nicht mehr gut einschätzen kann. Ist es immer noch das Beste, bis auf die Einkäufe und einsame Rad- und Laufrunden alleine zu Hause zu bleiben? Oder darf auch ich wieder guten Gewissens die alte WG besuchen, mit einem Freund Tischtennis spielen, mit dem ein oder dem anderen Onkel ein Eis essen gehen, mich zum Lauftraining verabreden, irgendwann mal wieder für ein Wochenende zu meinen Eltern fahren, oder ohne Maske den Supermarkt betreten, weil ich vergessen habe, sie mitzunehmen? Was davon ist gerade überhaupt verboten, was wäre theoretisch noch erlaubt und was schon wieder? Ich verfolge täglich die aktuellen Nachrichten und trotzdem frage mich: „Kann mich mal bitte jemand aufklären?“ Dieses Spiel hat die komplexesten Regeln, aber wer hat verdammt noch mal die Anleitung verschusselt?

In den sozialen Medien stolperte ich zuletzt über diesen Beitrag (ich habe ihn nur sprachlich ein wenig überarbeitet):

Klarstellung der Corona Regeln
1. Im Prinzip dürfen Sie das Haus nicht verlassen. Aber wenn Sie möchten, dann dürfen Sie doch.
2. Masken sind nutzlos. Sie sollten aber unbedingt eine tragen, denn sie kann Leben retten.
3. Alle Läden sind geschlossen. Außer die, die geöffnet sind.
4. Dieses Virus ist tödlich, aber nicht allzu beängstigend. Eventuell führt es zu einer globalen Katastrophe.
5. Jeder muss zuhause bleiben. Aber es ist wichtig auch rauszugehen, besonders bei Sonnenschein. Besser wäre es aber, nicht rauszugehen. Außer natürlich für Sport, das ist okay.
6. Es gibt keinen Mangel an Lebensmitteln im Supermarkt. Aber es gibt viele Dinge, die fehlen, und andere sind zurzeit einfach nicht da.
7. Das Virus hat keine Auswirkungen auf Kinder. Außer auf diejenigen, auf die es Auswirkungen hat.
8. Tiere sind nicht betroffen. Aber es gibt eine Katze, die im Februar in Belgien positiv getestet wurde. Und ein paar Tiger und selten auch Hunde. Eigentlich ja keine Hunde, aber manchmal dann doch. Jegliche Oberflächen können die Krankheit übertragen. Außer das Fell Ihres Tieres.
9. Wenn Sie krank sind, werden Sie viele Symptome haben. Aber Sie können auch ohne Symptome krank werden, Symptome haben, ohne krank zu sein, ansteckend sein, ohne Symptome zu haben, und sich anstecken, ohne dass der Ansteckende Symptome hat.
10. Das Virus bleibt auf verschiedenen Oberflächen zwei Stunden lang aktiv. Oder vier, oder sechs oder auch mehrere Tage. Aber es braucht eine feuchte Umgebung. Das aber auch nicht unbedingt.
11. Das Virus bleibt eigentlich nicht in der Luft. Manchmal aber dann doch. Vor allem in einem geschlossenen Raum.
12. Es handelt sich hier grundsätzlich nicht um Schmierviren. Aber eine Schmierinfektion wäre möglich.
13. Wir sollten so lange zu Hause bleiben, bis das Virus verschwindet. Es wird aber nur verschwinden, wenn wir eine kollektive Immunität erreichen. Dafür dürfen wir nicht zu viel zu Hause sein, deswegen bleiben Sie besser nur die meiste Zeit über zu Hause.
14. Sollten Sie erkrankt gewesen sein, werden Sie möglicherweise später wieder erkranken. Dazwischen sind Sie gegen das Virus immun.

Ich las diesen Beitrag und dachte mir mehr denn je: Corona nervt. Die Unsicherheit nervt, die Ängste und Sorgen nerven, Homeoffice und Videokonferenzen nerven, Masken nerven, Regeln nerven. Ich will alles „richtig machen“ und fühle mich gleichzeitig wie ein trotziges Kind, das nicht mehr mitspielen will. Wenn wenigstens jemand sagen könnte, wann das Spiel zu Ende sein wird. Aber: „Wir wissen es einfach nicht.“ (Auf die Floskel vom Anfang verzichte ich an dieser Stelle.) Und trotzdem – es geht mir gut. Es könnte noch viel viel schlimmer sein.

Mittwoch, 22. April 2020

Isolation, Tag 31 bis 36: Status-Update N°2

Die letzten Tage der letzten Woche habe ich gehadert. Mit mir, meinem Lebensentwurf, meinen gerade sehr unklar definierten Zukunftszielen, meinem Aussehen und vor allem meiner Frisur, meinen Worten, meinen Gedanken, meinen Taten. Mit meiner Frisur hadere ich immer noch, ansonsten bin ich seit dem Wochenende aber wieder mehr im Einklang mit mir selbst und dem, was ich tue.

Am Samstag ist – überraschend schnell – ein großes Paket angekommen: um mir die Arbeit im Homeoffice zu erleichtern, habe ich in einen Monitor investiert. Was für eine gute Entscheidung! Motivation und Produktivität haben sich mit Inbetriebnahme des Monitors exponentiell gesteigert und nun ein Niveau erreicht, von dem ich die letzten Wochen nur träumen konnte. Dies hat mich sogar dazu bewogen, den seit Wochen aufgeschobenen Remotezugriff auf meinen Bürorechner zu wagen, um mich seit Wochen aufgeschobenen Arbeiten zu widmen. Ich war ziemlich überrascht, wie einfach das funktionierte und wie stabil die Verbindung war. Und es war ein ziemlich seltsames Gefühl, plötzlich den Bürorechner „zuhause stehen zu haben“. Die Arbeit ging mir leicht von der Hand und fühlte sich fast an „wie immer“. Mein Büro vermisse ich trotzdem sehr. Und Sportfernsehen.

Die Arbeit selbst kommt mir wieder bedeutsamer vor als zu Beginn der Epidemie. Zwar sind es noch immer die Mediziner bzw. Virologen und Epidemiologen, Biomathematiker und Bioinformatiker, deren Erkenntnisse und Einschätzungen medial am stärksten in die Öffentlichkeit transportiert werden, aber die Debatte um die Auswirkungen der Schul- und Kitaschließungen hat nach relativem Stillschweigen während der Anfangsphase mittlerweile deutlich an Fahrt aufgenommen. Dabei geht es nicht mehr vorrangig um die Auswirkung der Schulschließung auf die Verbreitung des Virus, sondern auch um die Auswirkung auf die Kompetenzentwicklungen der Kinder, die mögliche (wahrscheinliche) Verstärkung sozialer Disparitäten, die zunehmende Belastung von Eltern, die von jetzt auf gleich die Aufgaben ausgebildeter Pädagogen erfüllen sollen, die Frage, warum gerade die Abschlussklassen zuerst zurück in die Schule gerufen und an den Prüfungstisch gesetzt werden, usw... Und während ich die bildungswissenschaftlich, bildungspolitisch und öffentlich geführte Diskussion diesbezüglich interessiert und gespannt verfolge, widme ich mich der Zusammenstellung von Übungstestheften, die es den Lehrkräften erleichtern sollen, den Leistungsstand ihrer Klassen nach Wiederaufnahme des Schulbetriebs einzuschätzen. Mir scheint, als leiste ich auf diesem Wege gerade einen klitzekleinen Beitrag zur Bewältigung der Krise bzw. zur Schadensbegrenzung. Ein nettes Gefühl.

Über diese positive Wendung in Bezug auf das Arbeiten im Homeoffice hinaus, kann ich meinem derzeitigen Kleinstadtleben in Berlin-Zehlendorf nach wie vor viel Positives abgewinnen. Während der Runden um die nahegelegenen Seen beobachte ich Hunde, auf der Suche nach ihren Herrchen (oder umgekehrt?), Eltern, auf der Suche nach ihren Kindern (oder umgekehrt?), Männer mit Metalldetektoren und Richtmikrofonen auf der Suche nach Schätzen und Vogelstimmen (hoffe ich zumindest), Frauen, die auf der Suche nach Aussicht auf Bäume klettern und Kinder, auf der Suche nach Abenteuern. Ein Junge mit Angel zieht vor meinen Augen einen Fisch aus dem Zufluss in den See, bejubelt den Fang mit seinen Freunden, belächelt meine Frage: „Den kann man aber nicht essen, oder?“, befreit den Fisch fachmännisch vom Haken und wirft ihn wieder ins Wasser. Ich bin beeindruckt.

Corona ist bei meiner Beobachtung von Mensch und Natur mittlerweile nicht mehr besonders präsent. Nur selten frage ich mich noch, ob ich selbiges wohl auch „vor Corona“ hätte beobachten können. Angelnde Kinder und Frauen, die auf Bäume klettern, habe ich am See z. B. noch nie gesehen. Vielleicht taten sie es dennoch schon vorher und ich war einfach noch nie zur entsprechenden Zeit am entsprechenden Ort.

Zuletzt beobachte ich neue oder längst vergessen geglaubte Wesenszüge an mir selbst. Ich liege auf dem Dach in der Sonne, höre Musik und lasse das Leben auf mich regnen. Beim Blick in den Spiegel schaue ich den Sommersprossen beim Wachsen zu. Und beim Blick ins Innere dem Wachsen meiner Frustrationstoleranz. Das zeigt sich vor allem bei der Arbeit (oder Nicht-Arbeit) an der Dissertation, aber auch beim täglichen Zeichnen, bei missglückten „Es muss doch irgendwie ohne Hefe gehen“-Backversuchen, beim Verfehlen von selbstgesetzten Laufzeit-Zielen und einigem mehr.

Die Panik ist verschwunden, aber es sagt auch keiner mehr, dass man die Krise als Chance sehen kann, dachte ich angesichts der Ankündigung der vorläufigen Lock-Down Verlängerung vor einer Woche. Heute sehe ich es wieder anders. Die Krise hat verheerende Auswirkungen, aber Bemühungen, „das Beste“ draus zu machen, können durchaus gewinnbringend sein. „Das wird gut“ sagt einer meiner Koautoren immer. Unzählige Male habe ich ihn schon für diesen Spruch verteufelt, weil ich seine Einschätzung nicht teilte und selbst so gar nicht das Gefühl hatte, dass „das“ auch nur annähernd auf dem Weg ist, „gut“ zu werden. In diesen Tagen ertappe ich mich dabei, „Das wird gut“ zu denken, zu sagen und irgendwie auch davon überzeugt zu sein.