Mittwoch, 22. April 2020

Isolation, Tag 31 bis 36: Status-Update N°2

Die letzten Tage der letzten Woche habe ich gehadert. Mit mir, meinem Lebensentwurf, meinen gerade sehr unklar definierten Zukunftszielen, meinem Aussehen und vor allem meiner Frisur, meinen Worten, meinen Gedanken, meinen Taten. Mit meiner Frisur hadere ich immer noch, ansonsten bin ich seit dem Wochenende aber wieder mehr im Einklang mit mir selbst und dem, was ich tue.

Am Samstag ist – überraschend schnell – ein großes Paket angekommen: um mir die Arbeit im Homeoffice zu erleichtern, habe ich in einen Monitor investiert. Was für eine gute Entscheidung! Motivation und Produktivität haben sich mit Inbetriebnahme des Monitors exponentiell gesteigert und nun ein Niveau erreicht, von dem ich die letzten Wochen nur träumen konnte. Dies hat mich sogar dazu bewogen, den seit Wochen aufgeschobenen Remotezugriff auf meinen Bürorechner zu wagen, um mich seit Wochen aufgeschobenen Arbeiten zu widmen. Ich war ziemlich überrascht, wie einfach das funktionierte und wie stabil die Verbindung war. Und es war ein ziemlich seltsames Gefühl, plötzlich den Bürorechner „zuhause stehen zu haben“. Die Arbeit ging mir leicht von der Hand und fühlte sich fast an „wie immer“. Mein Büro vermisse ich trotzdem sehr. Und Sportfernsehen.

Die Arbeit selbst kommt mir wieder bedeutsamer vor als zu Beginn der Epidemie. Zwar sind es noch immer die Mediziner bzw. Virologen und Epidemiologen, Biomathematiker und Bioinformatiker, deren Erkenntnisse und Einschätzungen medial am stärksten in die Öffentlichkeit transportiert werden, aber die Debatte um die Auswirkungen der Schul- und Kitaschließungen hat nach relativem Stillschweigen während der Anfangsphase mittlerweile deutlich an Fahrt aufgenommen. Dabei geht es nicht mehr vorrangig um die Auswirkung der Schulschließung auf die Verbreitung des Virus, sondern auch um die Auswirkung auf die Kompetenzentwicklungen der Kinder, die mögliche (wahrscheinliche) Verstärkung sozialer Disparitäten, die zunehmende Belastung von Eltern, die von jetzt auf gleich die Aufgaben ausgebildeter Pädagogen erfüllen sollen, die Frage, warum gerade die Abschlussklassen zuerst zurück in die Schule gerufen und an den Prüfungstisch gesetzt werden, usw... Und während ich die bildungswissenschaftlich, bildungspolitisch und öffentlich geführte Diskussion diesbezüglich interessiert und gespannt verfolge, widme ich mich der Zusammenstellung von Übungstestheften, die es den Lehrkräften erleichtern sollen, den Leistungsstand ihrer Klassen nach Wiederaufnahme des Schulbetriebs einzuschätzen. Mir scheint, als leiste ich auf diesem Wege gerade einen klitzekleinen Beitrag zur Bewältigung der Krise bzw. zur Schadensbegrenzung. Ein nettes Gefühl.

Über diese positive Wendung in Bezug auf das Arbeiten im Homeoffice hinaus, kann ich meinem derzeitigen Kleinstadtleben in Berlin-Zehlendorf nach wie vor viel Positives abgewinnen. Während der Runden um die nahegelegenen Seen beobachte ich Hunde, auf der Suche nach ihren Herrchen (oder umgekehrt?), Eltern, auf der Suche nach ihren Kindern (oder umgekehrt?), Männer mit Metalldetektoren und Richtmikrofonen auf der Suche nach Schätzen und Vogelstimmen (hoffe ich zumindest), Frauen, die auf der Suche nach Aussicht auf Bäume klettern und Kinder, auf der Suche nach Abenteuern. Ein Junge mit Angel zieht vor meinen Augen einen Fisch aus dem Zufluss in den See, bejubelt den Fang mit seinen Freunden, belächelt meine Frage: „Den kann man aber nicht essen, oder?“, befreit den Fisch fachmännisch vom Haken und wirft ihn wieder ins Wasser. Ich bin beeindruckt.

Corona ist bei meiner Beobachtung von Mensch und Natur mittlerweile nicht mehr besonders präsent. Nur selten frage ich mich noch, ob ich selbiges wohl auch „vor Corona“ hätte beobachten können. Angelnde Kinder und Frauen, die auf Bäume klettern, habe ich am See z. B. noch nie gesehen. Vielleicht taten sie es dennoch schon vorher und ich war einfach noch nie zur entsprechenden Zeit am entsprechenden Ort.

Zuletzt beobachte ich neue oder längst vergessen geglaubte Wesenszüge an mir selbst. Ich liege auf dem Dach in der Sonne, höre Musik und lasse das Leben auf mich regnen. Beim Blick in den Spiegel schaue ich den Sommersprossen beim Wachsen zu. Und beim Blick ins Innere dem Wachsen meiner Frustrationstoleranz. Das zeigt sich vor allem bei der Arbeit (oder Nicht-Arbeit) an der Dissertation, aber auch beim täglichen Zeichnen, bei missglückten „Es muss doch irgendwie ohne Hefe gehen“-Backversuchen, beim Verfehlen von selbstgesetzten Laufzeit-Zielen und einigem mehr.

Die Panik ist verschwunden, aber es sagt auch keiner mehr, dass man die Krise als Chance sehen kann, dachte ich angesichts der Ankündigung der vorläufigen Lock-Down Verlängerung vor einer Woche. Heute sehe ich es wieder anders. Die Krise hat verheerende Auswirkungen, aber Bemühungen, „das Beste“ draus zu machen, können durchaus gewinnbringend sein. „Das wird gut“ sagt einer meiner Koautoren immer. Unzählige Male habe ich ihn schon für diesen Spruch verteufelt, weil ich seine Einschätzung nicht teilte und selbst so gar nicht das Gefühl hatte, dass „das“ auch nur annähernd auf dem Weg ist, „gut“ zu werden. In diesen Tagen ertappe ich mich dabei, „Das wird gut“ zu denken, zu sagen und irgendwie auch davon überzeugt zu sein.

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