Samstag, 4. April 2020

Isolation, Tag 17: Remote Leadership

Drei Wochen ist es nun schon her, dass sich mein Arbeitsleben grundlegend verändert hat. Montag und Dienstag, am 16. und 17.03., war ich zuletzt im Büro. Die Stimmung war bereits angespannt, es schien bereits wahrscheinlich, dass wir bald eine ganze Weile nicht mehr in unseren Büros arbeiten können. An besagtem Montag war vergleichsweise viel Betrieb auf den Fluren. Bewusst oder unbewusst haben wohl viele die evtl. vorerst letzte Chance genutzt, sich mit KollegInnen abzusprechen, Materialien für die Heimarbeit verfügbar zu machen, ein paar Dokumente auszudrucken. Dienstag, einen Tag später, war es schon deutlich ruhiger und den Plan, mittwochs noch einmal für eine letzte Teamabsprache ins Büro zu fahren, setzte ich nicht mehr in die Tat um. Zu diesem Zeitpunkt wurde bereits dazu aufgerufen, alle nicht unbedingt notwendigen Treffen zu vermeiden. Mittwoch der 18.03. war also Tag 1 meiner Isolation.

Manche Elemente meiner wöchentlichen Routinen haben sich seitdem gar nicht, einige ein wenig und etliche deutlich verändert. Einige sind derzeit ersatzlos gestrichen, einige andere sind ganz neu hinzugekommen. Darunter fällt unter anderem eine motivierende E-Mail vom Vorstand, die wir nun schon zum dritten Mal am Ende der Arbeitswoche erhalten. Diese zählt für mich definitiv zu den positiven Veränderungen der vergangenen Wochen.

Mit der Führungskultur an meinem Institut bin ich sonst oft eher unzufrieden. Ich würde mir insgesamt weniger Distanz bzw. mehr Vernetzung zwischen den verschiedenen Hierarchieebenen und insbesondere ein wenig mehr Wertschätzung für „niedere Tätigkeiten“ bzw. das mühsame Aufrechterhalten des Tagesgeschäfts wünschen. Einige andere Arbeitsbereiche stehen dem Vorstand inhaltlich näher als andere – hier wird aus meiner Sicht weniger distanziert kommuniziert und stärker „an einem Strang gezogen“. In meinem Arbeitsbereich habe ich zur Führungsriege hingegen nur wenig Kontakt und teilweise sogar das Gefühl, „da oben“ wisse man gar nicht, was ich eigentlich genau mache. Das kann ganz schön frustrierend sein.

Meine Vorstellung von „guter Führung“ wurde zuletzt durch das bereits in einem anderen Artikel erwähnten Podcast-Interview mit Sabine Rückert geprägt. Zwar antwortet Rückert eher ausweichend auf die Frage, was eine gute Chefin ausmacht, doch zwei Aspekte hebt sie dann doch sehr deutlich hervor: Wahrnehmung und Wertschätzung.

„Ich bin die Chefin“, so Rückert, „aber ich komme mir nicht so vor.“ Und erklärt dann in Bezug auf ihre Mutter, die ebenfalls erfolgreich ein Unternehmen geführt hat: „Also erstens glaube ich, dass meine Mutter das nicht anders gemacht hat als ich. Meine Mutter ist immer ganz nah bei den Leuten gewesen. (…) als das Unternehmen [gegründet] wurde, war sie in der Putzkolonne dabei, die war in der Bügelstube mit dabei, die war immer mit dabei. Bei allen Betriebsfesten war sie dabei, bei der Weihnachtsfeier. Die wusste alles. Meine Mutter wusste alles – von allen. Weil sie sich für die Leute interessiert hat und weil sie sie wirklich gern gehabt hat. (…) ich weiß jetzt nicht, ob ich so eine gute Chefin bin, wie meine Mutter eine war. Aber, dass ich die Leute hier wahnsinnig gern hab, das stimmt. Also ich liebe die Leute. Das muss ich jetzt mal so sagen. Jetzt weine ich auch gleich wieder, weil es wirklich so ist: Ich komme morgens rein und weiß schon, die ganzen Leute, die sich hier ein Bein ausreißen für diese Zeitung. Und dann, wenn ich auch wieder mit in der Konferenz sitze, dann kommen mir manchmal die Tränen. Weil die Leute so gut sind, die hier sitzen. Und sich so eine Mühe machen. Und so unglaublich sympathisch sind und liebenswürdig. Das sind so tolle Leute – da muss man nicht führen. Man muss nur aufpassen, dass ihnen nichts passiert.“

Ich erwarte natürlich nicht, dass unser Vorstand angesichts meiner Arbeit (vor Freude) in Tränen ausbricht. Auch erwarte ich nicht, dass sie alles von allen bzw. alles über alle wissen. Aber ein etwas häufiger signalisiertes Interesse für die (mühevolle) Arbeit in den einzelnen Bereichen und für die MitarbeiterInnen, die dahinter stehen, könnte schon einiges verändern. Ein bisschen mehr Wahrnehmung und Wertschätzung eben. Ein bisschen mehr „Danke für deine Arbeit“ und vielleicht ab und zu ein ernst gemeintes „Wie geht es dir?“.

Und nun erhalte ich also seit drei Wochen wöchentlich eine E-Mail. Eine E-Mail, die Sätze enthält wie „[W]ir haben Hochachtung vor Ihrer Leistung und Ihrem Engagement!“ Die auf die Herausforderungen eingeht, denen viele von uns gerade entgegenstehen. Die neben Beruflichem auch Persönliches thematisiert. Die uns Anregungen für Dehn- und Sportübungen am Arbeitsplatz an die Hand gibt, uns für unsere Geduld und unser Engagement dankt, uns viel Kraft und trotz allem ganz viel gute Laune wünscht und die stets endet mit den Worten „Passen Sie gut auf sich auf und bleiben Sie gesund!“

Die E-Mail richtet sich an die gesamte Belegschaft. Es wird nicht unterschieden zwischen Post-Doktoranden, WiMis, StuMis, Fach-KoordinatorInnen, Verwaltung und EDV und auch nicht zwischen verschiedenen Arbeitsbereichen. Die E-Mail ist wohlformuliert, sie klingt für mich ernst gemeint und nicht nach leeren Worten. Es ist eine E-Mail, auf und über die ich mich in diesen Tagen ehrlich freue. Die Inhalte dieser E-Mail sind wohl genau diejenigen, die ich während des regulären Betriebs der letzten Jahre vermisst habe. Und ich überlege mir, ob ich es wagen sollte beim Vorstand anzuregen, die Routine der wöchentlichen Nachricht an die Belegschaft über die Corona-Krise hinaus beizubehalten.

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