Freitag, 3. April 2020

Isolation, Tag 16: Einkäufe und Nachbarschaftshilfe

„Und was machst du so?“ fragen wir uns und wir teilen unsere Erfahrungen über Messenger, auf Blogs, in Podcasts, in Videos, … Und heute antworte ich „den Nachbarn helfen.“

Bereits vor drei Wochen bin ich dem allgemeinen Aufruf gefolgt, sich solidarisch zu zeigen und besonders gefährdete Personen zu unterstützen, z. B., indem man ihnen die Einkäufe abnimmt. Mein Angebot über die Plattform nebenan.de wurde von anderen Nutzern zunächst zwar freundlich begrüßt, Unterstützungsbedarf meldete aber niemand an. Diese Woche war es dann doch soweit und eine Frau aus der unmittelbaren Nachbarschaft erkundigte sich, ob ich ihr und ihrem Mann bei den Einkäufen behilflich sein könnte.

Ich möchte ehrlich zugeben, dass ich im ersten Moment zögerte. Vor drei Wochen habe ich meine Einkäufe noch mehrmals wöchentlich und ohne besondere Einschränkungen erledigt. Für andere einkaufen? „Kein Problem!“, dachte ich damals. Die ersten Meldungen über Hamsterkäufe von Nudeln und Toilettenpapier kursierten zwar schon in den Medien, aus meiner Sicht war aber eigentlich alles wie immer. Die aktuellen Maßnahmen zur Kontaktsperre schienen mir in weiter Ferne. Schlangen vor den Supermärkten, gähnend leere Regale und eine rationierte Ausgabe bestimmter Produkte? Das war für mich gar nicht vorstellbar. Wie naiv von mir, denke ich heute. Denn die Situation hat sich deutlich verändert. Und damit auch mein eigenes Einkaufsverhalten.

Größere Einkäufe habe ich nie gerne erledigt. Ich gehe lieber jeden oder jeden zweiten Tag und decke meinen täglichen Bedarf als dass ich Wocheneinkäufe plane und Vorräte anlege. Plötzlich ist Einkaufen aber mehr als „nach der Arbeit noch kurz in den Supermarkt.“ Plötzlich versuche ich, wie die meisten von uns, möglichst selten und vorausschauend einzukaufen. Ein- bis zweimal pro Woche, das muss reichen.

Das Einkaufen selbst ist alles andere als unbeschwert. Im Laden versuche ich Abstand zu halten, mich nicht unnötig lange aufzuhalten und trotzdem nichts Wichtiges zu vergessen. Gar nicht so einfach. Die meisten Läden hier haben eine „Wagenpflicht“ eingeführt und lassen nur noch eine bestimmte Anzahl an Kunden gleichzeitig rein. Die üblichen Schlangen vor den Kassen haben sich auf die Parkplätze verlagert. Die KassiererInnen sitzen hinter Plexiglasscheiben, die Kunden sollen wenn möglich bargeld- und idealerweise kontaktlos bezahlen. Die Funktion wurde bei meiner EC-Karte leider deaktiviert. Da die Kunden hinter mir mittels aufgeklebter Warnstreifen am Boden daran erinnert werden, 1,5 Meter Mindestabstand einzuhalten, habe ich zumindest keine Sorge mehr, es könne jemand einen Blick auf meine PIN erhaschen. Statt wie sonst hinter dem Kassenbereich räume ich die Einkäufe erst draußen in meinen Rucksack. Ich bin froh, wieder an der frischen Luft zu sein, und möchte die Wartenden vor dem Eingang nicht unnötig aufhalten.

Und nun soll ich also für die „Nachbarn“ einkaufen. Möchte ich das überhaupt noch? Ich könnte auch Nein sagen. Mein Angebot war unverbindlich, die Umstände haben sich geändert … Ich sage Ja. „Ja, ich helfe gerne“, sage ich, und bin mehr als unsicher, ob ich es wirklich so meine. Doch dann wird auf mein Ja mit so viel Freundlichkeit und Dankbarkeit reagiert, dass meine Zweifel schnell verfliegen. In einem kurzen Telefonat klären wir alles Organisatorische, die Einkaufsliste wird mir per Whatsapp zugeschickt. Die Liste ist umfangreich, ich soll sie aber ruhig auf das reduzieren, was ich tragen kann.

In der Hoffnung einen vergleichsweise ruhigen Zeitpunkt zu erwischen, ziehe ich um Punkt 12, unmittelbar nach meiner Laufrunde, los. Im Bioladen bin ich dann fast die einzige Kundin und eine Wagenpflicht gibt es hier auch nicht – sehr angenehm! Die ersten Sachen sind schnell gefunden, bezahlt und in den Rucksack gepackt und ich begebe mich zum gegenüberliegenden Supermarkt. Auch hier ist nicht allzu viel los, mein Plan scheint also in die Tat aufzugehen. Am Eingang muss ich nur kurz warten bis mir ein
freundlicher „Wagenverteiler“ einen frisch desinfizierten Einkaufswagen aushändigt und ich den Laden betreten darf. Viele Produkte auf der Liste habe ich für mich selber schon sehr lange oder sogar noch nie eingekauft, sodass ich erstmal suchen muss und insgesamt ungewohnt lange brauche. Entgegen meiner Erwartung bin ich heute aber ziemlich entspannt. Ich konzentriere mich auf die Liste, versuche, beim Suchen vor den Regalen niemanden zu behindern, frage wegen nicht auffindbarer Produkte einen Verkäufer um Rat ohne ihm zu nahe zu kommen und muss an der Kasse nur feststellen, dass ich leider die Butter vergessen habe. Unter normalen Umständen wäre ich nochmal schnell zurückgerannt. Heute verlasse ich den Laden nach dem Zahlen so wie es mir angewiesen wird durch den hinteren Ein- und Ausgang, der mittlerweile zum ausschließlichen Ausgang umfunktioniert wurde, verstaue den Einkauf in Rucksack und einer zusätzlichen Transportkiste, gebe meinen Wagen zum Desinfizieren ab und gehe für die Butter noch einmal in den Bioladen.

Schwer bepackt aber zufrieden stapfe ich nach Hause, wo ich die für mich besorgten Produkte von denen für die Nachbarn trenne, letztere sorgfältig in die Kiste packe, den Gesamtpreis ausrechne und per Whatsapp durchgebe. Am Nachmittag breche ich zur vereinbarten Zeit erneut auf, um die Einkäufe in der Parallelstraße abzuliefern. Dort werde ich bereits freudig erwartet und habe keine Chance, ein kleines Trinkgeld für meine Mühe abzulehnen. Ohne zu Zögern biete ich an, in der nächsten Woche erneut zu helfen bzw. mich zukünftig stets zu melden, wenn ich für meinen Bedarf einkaufen werde und die Möglichkeit habe, etwas mitzubringen.

„Warum tut man so etwas?“, frage ich mich, als ich wieder zuhause bin. Ein bis zwei Stunden hat es mich insgesamt gekostet und das Schleppen war auch nicht ganz ohne. Zeit und Kraft, die ich sicher auch gut „für mich“ hätte nutzen können. Aber es tat gut, helfen zu können. Der kurze Kontakt zu so freundlichen Menschen, die Dankbarkeit, die mir entgegengebracht wurde, sogar das Suchen der unbekannten Produkte vor den Regalen: Trotz der widrigen Umstände hat dieser Einkauf irgendwie Spaß gemacht. Eine sinnstiftende Tätigkeit, ein unmittelbares und zufriedenstellendes Ergebnis. Alles in allem eine schöne Tagesaufgabe, denke ich mir, und bin gespannt, wann mich der nächste Auftrag ereilen wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen