Montag, 13. April 2020

Isolation, Tag 26: Ostern

Vor zehn Tagen schrieb ein sehr guter Freund mir, Ostern sei jetzt wohl „offiziell abgesagt“. Anlass war glaube ich die Ansage, dass die Maßnahmen zur Kontaktsperre mindestens bis nach Ostern beibehalten werden, was für uns beide Gewissheit bedeutete, dass wir Ostern nicht mit unseren Familien werden. Mir war der Gedanke an eine „Absage“ erstmal suspekt. Ostern bleibt Ostern, auch ohne Verwandtschaftsbesuch, oder? Vier Tage später schrieb ich ihm dann aber doch: „Ich bin jetzt auch traurig wegen Ostern.“ Ostern war für mich schon immer ein wichtiges und meistens auch ein sehr schönes Fest und ich wäre heute gerne mit meiner Familie bei meiner Oma gewesen. Aber besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen und angesichts der aktuellen Maßnahmen fühlte es sich vernünftiger an, in Berlin zu bleiben.

Ich beginne den Tag mit einem Fernsehgottesdienst zum Ostersonntag. Der Gottesdienst ist schön gestaltet und musikalisch untermalt. Ich summe die Lieder mit und bin gerührt über die Worte der Pfarrerin. „Ostern ist nicht abgesagt“, denke ich. Wir feiern es dieses Jahr einfach anders. Im Anschluss male ich einen „Frohe Ostern“-Gruß und verteile ihn über Whatsapp und Telegram. Ich erhalte viele „Frohe Ostern“-Grüße zurück und finde, dass diese schon mal ein guter Ersatz für das übliche Händeschütteln im Gottesdienst ist.

Ich hatte mich bereits auf ein einsames Osterfest ohne Osternest eingestellt und mich mit dem Rennrad zu einer ausgedehnten Osterradrunde verabredet, doch einer meiner Onkel durchkreuzt meine Pläne und lädt mich spontan ein, auf der Runde vorbeizufahren, um mir einen Schokohasen abzuholen.* So fahre ich heute also wieder durch Brandenburg und wähle dabei Straßen, von denen die Mehrheit nett anzuschauen und nur die Minderheit schlecht asphaltiert oder dicht befahren ist. Ich freue mich über die gute Navigation durch meine GPS-Uhr und finde die Route heute wirklich ganz schön. Ich komme vorbei an einer verlassenen Wasserskianlage, einem verlassenen Golfplatz, etlichen Windkraftanlagen und jeder Menge Pferdehöfen. Mir war gar nicht bewusst, dass Reiten noch so modern ist. Und ich begegne auch wieder vielen anderen Rennradfahrern. Die mir entgegenkommen grüße ich, die meisten grüßen zurück – eine Geste, die nicht erst seit der Corona-Krise wohl verbreitet ist.

Wenn ich in einem Tempo überholt werde, das ich gut auch eine Weile mithalten kann, klemme ich mich hintenan und versuche, eine Weile mitzuhalten. Auch wenn mir klar ist, dass das Ansteckungsrisiko dabei wohl verschwindend gering sein sollte, verzichte ich heute lieber auf den Windschatten und halte eine Radlänge Abstand. So fährt man dann eine Weile einträchtig hintereinander, still, und nur begleitet durch das Surren der Pedale, bis sich die Wege trennen oder Kraft und Kondition nicht mehr miteinander zu vereinen sind. Die Gewissheit über eine gemeinsame Leidenschaft verbindet, auch wenn man ansonsten rein gar nichts von den jeweils anderen weiß. Das ist irgendwie ein seltsamer, aber doch auch ein schöner Gedanke.

In den Dörfern entdecke ich auch heute wieder viele kleine Stände vor den Häusern, mit selbstgemachten Osterbroten, Keksen, Marmeladen und Apfelmus. Heute hätte ich mir gerne ein Glas mitgenommen, leider habe ich kein passendes Kleingeld dabei. Vielleicht beim nächsten Mal.

Am Nachmittag erreiche ich das Haus meines Onkels. Der Schokohase wartet in der Papiermülltonne, das Suchen bleibt mir aber erspart, das Versteck wurde mir vorher verraten. Eine mitgebrachte Schokolade mit Ostergruß reiche ich im Gegenzug über den Gartenzaun. Über den Gartenzaun unterhalten wir uns dann auch noch ein bisschen und auch das ist wieder eine willkommene Abwechslung zum mittlerweile doch einsam werdenden Alltag (wenn man aktuell denn überhaupt von „Alltag“ sprechen kann).

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ lese ich als Schriftzug an einem Schulgebäude, an dem ich vorbeifahre, es handelt sich dabei um ein Zitat vom Religionsphilosophen Martin Buber. Wie wahr, denke ich mir, der Mensch ist ein Herdentier, heißt es in diesen Tagen ja immer wieder. Aber Begegnung kann vielseitig gedacht werden, denke ich weiter. Begegnungen auf dem Fahrrad, Begegnungen am Gartenzaun oder der Haustüre, Begegnungen mit Sicherheitsabstand, Begegnungen über Telefon und Internet. „Allein sein heißt nicht einsam sein.“ erklären uns die Soziologen, Psychologen, Politiker und altklugen Alltagsphilosophen und man muss ihnen allen wohl Recht geben.

Den Rest des Tages verbringe ich im Wesentlichen auf dem Sofa, lege die müden Beine hoch und arbeite an einem neuen Häkelauftrag. Mit Familie und Freunden tausche ich mich am Abend noch über die jeweiligen Oster-Aktivitäten aus, unter anderen auch mit dem zu Beginn des Artikels erwähnten Freund. „Zum Ende des Tages bin ich etwas traurig und fühle mich einsam, aber der Tag war eigentlich schön.“ schreibe ich ihm und berichte von meiner Tagesgestaltung. „Klingt ganz gut. Auch wenn ich nicht weiß, wie man so einen Ostertag bewerten soll. Aber für einen Coronatag klingt es gut.“ antwortet er und ich kann mir in diesem Moment kein treffenderes Fazit vorstellen. Ostern ist nicht ausgefallen, es war nur anders als sonst. Und den Umständen entsprechend hatte ich alles in allem durch viele freundliche Gesten und Worte einen schönen „Coronostersonntag“.

* Ich muss zugeben, dass ich an der spontanen Einladung nicht ganz unbeteiligt war. Ich habe die Schokohasen am Morgen in seinem Profilbild entdeckt und ihn gefragt, ob ich mir einen abholen darf :-D

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