Samstag, 11. April 2020

Isolation, Tag 24: Verzweiflung und Vertrauen

Karfreitag: kein guter Tag. Dabei beginnt er noch ganz gut, ich schaue mir einen evangelischen Gottesdienst im Fernsehen an, der schön ist, mich aber auch nachdenklich stimmt. In der Predigt geht es um das Gebet aus Psalm 22, was für viele Christen derzeit nicht nur durch Ostern, sondern auch durch ihre Sorgen und Ängste angesichts der aktuellen Situation vielleicht präsenter denn je ist. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ heißt es darin direkt zu Anfang.

Es gibt Menschen, die die Corona-Epidemie als „Strafe Gottes“ deklarieren. Der strafende Gott galt in der christlichen Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte lange als unstrittig.* Naturkatastrophen und Seuchen, aber auch kollektive oder persönliche Schicksale werden als „Strafe Gottes“ gedeutet, so wie es uns einige Geschichten aus dem Alten Testament nahelegen. Die meisten modernen Christen teilen diese Auffassung aber nicht mehr. Sie sehen die Krise eher als Anlass, der ein Umdenken in der Bevölkerung bewirken sollte. Ein Anlass, Routinen in Frage zu stellen, Verantwortung zu übernehmen, Solidarität neu zu entdecken, … Ein Anlass, der auch als große Chance für das Gemeinwohl verstanden werden kann und uns an einen „guten Gott“, glauben lässt, der uns durch diese schwere Zeit begleitet und uns vielleicht sogar bestärkt aus ihr herausgehen lässt.

Nach dem Gottesdienst setze ich mich für eine Runde auf das Rennrad und im Anschluss daran an mein Manuskript. Um es kurz zu machen: Ich komme nicht voran. Während ich da also so vor den Worten und Sätzen sitze und an ihnen verzweifle, erlebe ich mal wieder eine kleine persönliche Krise, die angesichts der großen globalen Krise dieser Tage zwar nichtig erscheint, mir im Moment ihres Eintretens deutlich mehr zu schaffen macht.

In meiner Verzweiflung gelingt es mir heute zum ersten Mal nicht, mein zu Beginn des Monats gesetztes „Tagesziel“ einzuhalten. Tag 10 im Kalender rot einzukreisen ist ein doofes Gefühl und ich ärgere mich über mein Unvermögen, so ein Monatsvorhaben auch nur einmal einen gesamten Monat lang durchzuhalten. Seitdem ich das bewusst versuche, ist es mir noch nie gelungen und jetzt muss ich 20 Tage warten, um einen neuen Versuch starten zu können. Aber sind nicht auch diese 20 Tage eine Chance? Eine Chance, das Vorhaben morgen wieder in Angriff zu nehmen und das Ziel zu verfolgen, es bei dem einen roten Kreis auf dem Kalenderblatt zu belassen?

Ich denke zurück an Psalm 22 und die Verzweiflung, die darin zum Ausdruck gebracht wird. Und ich denke an die bevorstehenden Osterfeiertage, an denen nicht mehr die Kreuzigung Jesu, sondern die Auferstehung und das Leben nach dem Tod im Vordergrund stehen. Und auch wenn ein mögliches Scheitern an einem Manuskript oder der Dissertation und ein Abwenden des Ganzen natürlich in keinem Verhältnis zu Tod und Auferstehung oder der Corona-Krise und ihrer globalen Bewältigung stehen, wage ich es heute, in Bezug auf meine eigene Gefühlslage gedankliche Parallelen zu ziehen. So nehme ich die Verzweiflung an und besinne mich auf Vertrauen und Zuversicht. „Morgen wird wieder besser“, sage ich mir also zum Ende des Tages und es ist kein verzweifeltes Hoffen, sondern ein zuversichtliches Vertrauen, das mich in dieser Nacht trotz kleiner und großer Krisen ziemlich ruhig schlafen lässt.

P.S.: Dem „Klagepsalm“ 22 (Leiden und Herrlichkeit des Gerechten) voraus geht übrigens das „Danklied“ Psalm 21 (Gottes Hilfe für den König), folgen tut das „Vertrauenslied“ Psalm 23 (Der gute Hirte). Auch wenn er sich thematisch klar davon abgrenzt, könnte ich mir keinen besseren Rahmen vorstellen.

* Karsamstag spreche ich darüber am Telefon mit meiner Oma, die mir bestätigen wird, dass dies in der Generation über ihr, aber auch in ihrer Generation durchaus noch verbreitet war.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen