Montag, 13. April 2020

Isolation, Tag 27: Melancholische Wanderung

„Und was machst du so?“ fragen wir uns und wir teilen unsere Erfahrungen über Messenger, auf Blogs, in Podcasts, in Videos, … Und heute antworte ich: „Eine Osterwanderung“. Und weil mich sonst keiner danach fragt, frage ich mich selber: „Und wie fühlst du dich dabei?“ Und antworte mir: „Einsam und traurig.“

Am Ostermontag holen mich Einsamkeit und Traurigkeit also doch noch ein. Tags zuvor hatte ich mir vorgenommen, eine kleine Wanderung zu machen und setze diesen Plan auch in die Tat um. Spaziergänge und Wanderungen machen „wir“ oft an Ostern. Die Wege, die ich heute gehe, habe ich mittlerweile schon einigen Berliner Freunden, Bekannten und Familienmitgliedern in verschiedenster Konstellation und in verschiedensten Varianten gezeigt. Heute gehe ich sie alleine und ohne Begleitung ist es einfach etwas ganz anderes.

Heute fehlen mir die tiefgründigen Gespräche, die ich auf diesen Wegen mit einer lieben Freundin geführt habe. Das Schimpfen über die Arbeit, als ich sie mit den Kolleginnen entlang gelaufen bin. Der Austausch mit meiner Mama über ihre Liebe und meine Hassliebe zu Berlin, als ich sie bei einem ihrer letzten Besuche aus der Stadt herausgelockt habe. Das Warten auf meinen Papa, der hier und da wie so oft unzählige Fotos von ein und demselben Motiv gemacht hat. Und sogar die doofen Sprüche und flachen Witze von meinem Onkel und einem gutem Freund meiner Eltern, über die ich oft eher hinweghöre (obwohl ich beide natürlich sehr gerne habe!). Heute muss ich mich selbst unterhalten und das ist in meiner melancholischen Stimmung gar nicht so einfach.

Die Wanderung startet an der Heerstraße, das erste Ziel ist der Drachenberg. Obwohl es heute bewölkt, windig und mehr als 10 Grad kühler ist als gestern, sind hier noch viele andere Menschen unterwegs. Ich lasse den Blick über das Plateau schweifen und nehme danach die bunten Drachen im Einzelnen in den Blick. Ein schwarzer Rabe hat es mir dabei besonders angetan. Auf den Drachenberg folgt der Anstieg zum Teufelsberg und ich frage mich, wann wohl wieder Führungen über das Gelände angeboten werden und ich die Gutscheine dafür einsetzen kann, die ich von meinem Onkel zu Weihnachten bekommen habe.

Nach dem Teufelsberg, so die Erfahrung, werden auf den heute gewählten Wegen nur noch wenige Menschen unterwegs sein. Ich hatte mir zwar meine Kopfhörer mitgenommen und ein paar Podcasts aufs Handy geladen, doch zunächst verzichte ich darauf, sie zu hören und versuche, die Ruhe im Wald zu genießen. Ruhig ist es dann auch, sehr ruhig sogar. Mehr als meine Schritte, das Rascheln der Blätter im Wind und ganz selten ein Vogelzwitschern höre ich nicht. Melancholisch hänge ich also meinen traurigen Gedanken nach und summe ein paar Mut machende Kirchenlieder vor mich hin. „Du bist heilig, du bringst heil“ hat es mir heute angetan, obwohl das doch gar kein Osterlied ist. Aber ein gutes Coronalied ist es, denke ich mir. (Den Text kopiere ich in die Fußnote.*)

Ich überlege, woher die Traurigkeit heute kommt, und denke mir, dass es gar keine ausschließlich Corona-bedingte Traurigkeit ist. Zumindest teilweise ist es wohl auch meine übliche Stimmung, wenn bevorstehende Ereignisse eingetreten und zu Ende gegangen, während darauffolgende noch nicht in Aussicht sind. So wie mit Ostern gerade ging es mir früher an fast jedem Ende der Schulferien, nach Familienfesten oder nach Feiertagen. Die letzten zwei bis drei Wochen dachte ich immer nur „bis Ostern“. Jetzt ist Ostern vorbei und ich habe keine Vorstellung davon, wie „es“ weitergehen wird. Was taugt als nächster Haltepunkt? Der Start ins virtuelle Semester am 20. April? Mein Geburtstag in zwei Wochen? Der erste Mai? Der Tag, an dem ich wieder ins Büro darf? Ein Datum dafür steht leider noch in den Sternen.

Morgen ist mein Urlaub zu Ende und wieder ins Büro zu dürfen ist etwas, was ich mir beim Gedanke daran wirklich wünschen würde. Das mit dem Homeoffice mag in Bezug auf die Dissertation mittlerweile zwar etwas besser laufen, aber an die Projektarbeit habe ich mich zuhause allenfalls oberflächlich gewagt. Das sollte sich nächste Woche unbedingt ändern, auf meiner To-Do Liste haben sich einige Punkte angesammelt.

Ich mache eine Pause und klemme mir beim Versuch, mit kalten Händen meine Thermosflasche aufzuschrauben, ziemlich heftig den linken Mittelfinger ein. Das ist vor allem angesichts der bis zum Abend anhaltenden Schmerzen ärgerlich, aber im ersten Moment bin ich fast dankbar über den Schmerz, der mich ins Hier und Jetzt zurückholt und mich eine ganze Weile ganz schön ablenkt. Nicht zuletzt von den Gedanken an die Arbeit. Irgendwann kehrt eine gewisse gedankliche Ruhe ein und ich laufe ein längeres Stück weiter, ohne zu denken. Ist das schon Meditation? Es fühlt sich jedenfalls danach an.

Etwas später kommen die Gedanken dann doch wieder zurück und weil sie nach wie vor melancholisch sind, entscheide ich mich gegen die Ruhe des Waldes und setze doch noch die Kopfhörer auf, um Podcasts zu hören. „Wenn du den Schreibtisch anschaust, weißt du immer auch, wie groß das Projekt von jemandem gerade ist.“ bleibt als eigentlich netter Gedanke am Ende einer Folge „Hotel Matze“ hängen, lässt mich allerdings auch gleich wieder an Zuhause, die Isolation, die Arbeit und die Homeoffice Problematik denken. Ich akzeptiere, dass die Stimmung heute einfach ist, wie sie ist und beende den Tag mit dem dringenden Wunsch, im Laufe der Woche etwas mehr Klarheit darüber zu erlangen, in welcher Form und vor allem wie lange diese Isolation noch anhalten muss.

* Du bist heilig, du bringst Heil,
bist die Seele, wir ein Teil
der Geschichte, die du webst,
Gott, wir danken dir, du lebst
mitten unter uns im Geist,
der Lebendigkeit verheißt,
kommst zu uns in Brot und Wein,
schenkst uns deine Liebe ein.

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