Dienstag, 2. Dezember 2014

Kindheit

Im Rahmen einer tiefenpsychologisch analytischen Psychotherapie kommt man wohl nicht drum herum irgendwann über seine Kindheit zu sprechen. Nach mittlerweile fast zwei Jahren Therapieerfahrung habe ich allerdings langsam das Gefühl, das zur Genüge getan zu haben. Sicherlich ist Vieles was man in frühen Lebensjahren erlebt wichtig und entscheidend für die spätere Entwicklung, aber das umgekehrt Vieles oder sogar Alles, was man später so macht, denkt oder fühlt alleine oder zumindest im Wesentlichen davon abhängt, das wage ich doch zu bezweifeln.

Ich hatte eine glückliche Kindheit. Gewiss gab es Situationen, Kontakte, Begegnungen, bei denen man im Nachhinein dazu neigt, sie als problematisch, die freie Entfaltung behindernd oder der eigenen Entwicklung nachteilig zu beurteilen, aber dennoch, ist es nicht so, dass man aus jeder Situation und Erfahrung ein bisschen mehr lernt zu leben?

Was ich mich derzeit jedoch häufiger frage ist, wann ich meine kindliche Unbeschwertheit verloren habe und ob das etwas Unvermeidliches ist oder ob man lernen kann, sich diese beizubehalten oder zurück zu gewinnen. Als Kind habe ich anders an das gedacht, was kommen wird. Was der nächste Tag, die nächsten Wochen, der nächste Monat bringt. Einerseits konkreter, andererseits sorgloser. In Bezug auf klare, greifbare Momente, anstehende Verabredungen und Ereignisse habe ich mir zwar Gedanken über die Zukunft gemacht, aber dieses belastende Grübeln über das Große und Ganze und die damit verbundenen Gefühle der Leere, des Trübsals, der Mutlosigkeit, an die kann ich mich nicht erinnern.

Natürlich gab es Situationen, die mich nervös gemacht haben, auf die ich keine Lust oder vor denen ich Angst hatte, weniger aber das Gefühl der Überforderung, mit dem ich heute oft zu kämpfen habe. Sollte das Gefühl, den Dingen nicht gewachsen zu sein, nicht gerade als Kind - der Körpergröße entsprechend - gerechtfertigt sein? Warum kommt es mir erst jetzt, warum fühle ich mich jetzt so schutzlos, schwach, klein und auf eine eigentlich kindliche Art und Weise hilflos?

Ganz anders, aber irgendwie trotzdem eng damit verbunden ist das Gefühl, die Zeit anders/besser nutzen zu müssen, welches mir, wenn ich ans Kind sein zurück denke in dieser Form nicht ins Bewusstsein kommt. Dieses Gefühl des „Sollens“ und „Müssens“, das der Frage „Was will ich eigentlich?“ so gar keinen Raum mehr lässt. Und dabei vielleicht gerade deswegen auftaucht, weil ich letztere einfach nicht beantworten kann.

Eine materielle Kindheitserinnerung, deren Daseinsende kürzlich gekommen ist, war mein fröhlich bunter Regenschirm, der mich einige Jahre und auf so manchen ungemütlichen, tristen, nassen Wegen begleitete. Nachdem zwei Streben gebrochen und der aufgespannte Schirm einem abwechselnd rechts und links ins Gesicht wehte, schien mir eine weitere Verwendung als solcher nicht mehr besonders sinnvoll zu sein.

Der Schirm wäre demnach sicherlich in seiner Gesamtheit im Mülleimer gelandet, wäre nicht ein weiterer nützlicher Alltagsgegenstand ungefähr zur gleichen Zeit durch deutliche Abnutzungsspuren aufgefallen. Der Türstopper, der unser Eingangstor am Einrasten hindert und ein bisschen dem Scheppern entgegenwirkt, wirkte wirklich nicht mehr besonders einladend (um nicht zu sagen abschreckend). Und da das Schirmmaterial im Gegensatz zum alten Stopperstoff ja sogar wasserabweisend ist, habe ich aus diesem kurzerhand einen neuen gemacht. Fröhlich, bunt und einladend, kann ich mich nun fast jedes mal bei Öffnen des Tores ein bisschen an die Unbeschwertheit der Kindheit erinnern und bin vielleicht ja doch irgendwann in der Lage mir diese nicht nur ins Gedächtnis, sondern auch ins aktuelle Gefühlsleben zurück zu rufen.


Verlinkt bei: creadienstag, UpcyclingDienstag

2 Kommentare:

  1. Schön, dass er alte Schirm ein schönes zweites Leben bekommen hat!
    Ich denke, Kinder fühlen sich den Dingen oft besser gewachsen als wir, weil sie einfach ein viel größeres Selbstbewusstsein haben. Meine 9jährige zum Beispiel wünscht sich zu Weihnachten eine Staffelei, Palette und Leinwände, denn "ich werde jetzt Künstlerin und werde dann meine Bilder teuer verkaufen." Das ist eine Facette. Es gibt natürlich noch mehr Gründe. Ich muss aber sagen, es hilft mir, meine kleinen Menschlein um mich zu haben, das gibt mir ein wenig Unbeschwertheit zurück. Im Moment leben, das können Kinder besonders gut. Wann haben wir das verlernt? Möge der neue Türstopper für dich so ein Symbol sein - ein Symbol der Unbeschwertheit, des Selbstvertrauens. Alles Liebe! nina.

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    1. Schöne Geschichte, ich bin mir sicher deine Tochter wird jede Menge Freude am Malen haben (hoffentlich auch noch, falls sich die Bilder nicht ganz so teuer verkaufen lassen wie sie sich das vorstellt :-))!!
      Ich habe mir zumindest deine neue Häkelmützenanleitung abgespeichert, da werde ich dann auch mal ganz unbeschwert und überzeugt von meinen Fähigkeiten herangehen :D

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