Donnerstag, 26. März 2020

Isolation, Tag 8: Neue Ecken entdecken

„Und was machst du so?“ fragen wir uns und wir teilen unsere Erfahrungen über Messenger, auf Blogs, in Podcasts, in Videos, … Ein wichtiger Teil meiner Tagesabläufe ist der Gang an die frische Luft. Das galt zwar schon vor der Corona-Isolation, war aber in den meisten Fällen mit alltäglichen Pflichten (Arbeit, Einkaufen) oder Freizeitaktivitäten (Unternehmungen, Freunde treffen) verbunden.

Seit einer Woche ist es anders: Ich gehe nicht mehr raus, um zur Arbeit oder zur Uni zu fahren. Ich gehe nicht mehr raus, um Freunde zu treffen. Ich gehe nicht mehr raus, um Veranstaltungen zu besuchen, einen Kinofilm anzusehen, einen Kaffee zu trinken. Ich gehe raus, um rauszugehen.*


Die vergangenen Tage schnürte ich die Laufschuhe und begab mich auf eine meiner üblichen Laufstrecken: durch den Park, um den See, durch den Wald. Nach einer Woche wünschten sich meine Gelenke eine Laufpause und mein Gemüt etwas Abwechslung. So entschied ich mich heute a) das Risiko einzugehen, in eine etwas belebtere Gegend zu spazieren und b) neue Ecken zu entdecken und mich grob der richtigen Richtung folgend durch ungewohnte Straßen treiben zu lassen. Ich zog mir eine Hose an (seit einer Woche trage ich vorwiegend Jogginghose), band mir ein Bandana um den Kopf, komplettierte mein Outfit mit Halstuch und Windbreaker und fühlte mich, trotz farblich eingeschränkter Passung, so ordentlich angezogen, wie schon lange nicht mehr.

Auf dem Weg hörte ich einen Podcast, der bereits vor Beginn der Corona-Ausbreitung in Deutschland aufgenommen wurde. Eine gute Möglichkeit, die Gedanken eine Stunde auf ein anderes Thema zu lenken und abzuschalten. Ein Hauch von Normalität begleitete meinen Spaziergang. Passend zu meinem Vorhaben, neue Ecken zu entdecken, legte mir der Podcast das Erkennen und Pflegen der eigenen Ecken und Kanten nahe.


Ein Kampf, den ich die letzten Tage gegen mich führte, war geprägt von der Vorstellung, ich müsse „früh“ aufstehen und arbeiten, so wie andere es tun – einschließlich mir, wenn ich ins Büro oder in die Uni fahre. Ich merkte schnell, dass ich dabei nicht „funktionierte“. Ich trödelte herum, war müde und unausgeglichen, konnte mich nicht länger als ein paar Minuten am Stück konzentrieren und brachte trotz größter Bemühungen keine Struktur in meinen Tag. Ich fühlte mich unzulänglich und die allgemeine Schwierigkeit mit der Arbeit im Homeoffice tat ihr Übriges – darüber habe ich gestern bereits berichtet.

Während es im Podcast also weiter darum ging, sein wahres Ich zu erkennen, sein Anderssein zu schätzen, den Mut zu haben, unangepasst zu leben**, entschied ich, mich vom Druck des frühen Aufstehens zu befreien und meine Vormittage im Bett zu genießen. Das, was andere abends machen, mache ich fortan einfach morgens: Lesen, eine Doku schauen, mein Tagebuch schreiben … Und das, womit andere morgens beginnen, beginnt bei mir ab jetzt frühestens am frühen Nachmittag: in den Abend und die Nacht hinein zu arbeiten, hat die letzten zwei Tage deutlich besser funktioniert als der Versuch, feste Arbeitszeiten am Vormittag zu etablieren.

So wird mein Tag die nächsten Tage wohl ohne Wecker und mit viel Gemütlichkeit beginnen, das morgendliche Hangout mit einer Freundin lässt sich vielleicht auch eine Stunde nach hinten verschieben. Sobald mir danach ist, werde ich aufstehen und nach draußen gehen. Um es nicht ausarten und die Stimmung im Bett kippen zu lassen, setze ich mir hierfür eine Frist zu 13 Uhr. Die Arbeit beginne ich dann um 15, 16 oder 17 Uhr. Auf eine feste Zeit kann ich mich gerade nicht festlegen, aber vielleicht muss das ja auch gar nicht sein. Natürlich habe ich gewisse Dinge zu erledigen, aber im Wesentlichen habe ich doch gerade die Freiheit zu arbeiten, wenn ich die Motivation und Konzentration dafür aufbringen kann.

Um den Überblick zu behalten, notiere ich mir was zu tun ist. Die wichtigen Dinge erledige ich fristgerecht, alles andere dann nach Lust und Laune. Ich heiße den Schlendrian willkommen und bin gespannt, wie sich das auf meinen Tagesrhythmus und meine Produktivität auswirkt. Ich werde berichten.

* Und um einzukaufen, aber das natürlich – den Empfehlungen entsprechend – so selten wie möglich.
** Unangepasst ist auch der Titel des Podcasts: https://mitvergnuegen.com/2020/unangepasst-der-podcast-uebers-unorthodox-sein/

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