Dienstag, 24. März 2020

Isolation, Tag 7: (Un-) Produktiv im Homeoffice

„Und was machst du so?“ fragen wir uns und wir teilen unsere Erfahrungen über Messenger, auf Blogs, in Podcasts, in Videos, … Und manchmal antworte ich „arbeiten“, schließlich bin ich doch im Homeoffice und angehalten, durch die Schulschließungen „frei werdende Arbeitskapazitäten sinnvoll zu nutzen“. Und als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Institut für empirische Bildungsforschung habe ich doch auch beste Bedingungen für die Heimarbeit. Alles was ich brauche ist ein Rechner, eine möglichst stabile Internetverbindung und möglichst uneingeschränkten Zugang zu Literatur. (Okay, vielleicht nicht beste, aber zumindest gute Bedingungen sind gegeben.) Und wahrscheinlich habe ich gerade so viel Zeit für meine Dissertation, wie nie zuvor und danach nie mehr.

Trotzdem fällt es mir schwer, einen Zugang zu dieser neuen Art zu arbeiten zu finden. Der Grund ist einfach: Ich arbeite nicht gerne zuhause. Ich brauche eine räumliche Trennung und ein reizarmes Umfeld. Ich lebe zwar recht minimalistisch, aber dennoch birgt meine 1-Zimmer-Wohnung jede Menge Ablenkungspotential. Und ich brauche Menschen um mich herum, die auch arbeiten. Kontakt brauche ich nicht – im Gegenteil. Besprechungen und Teamarbeit, gegenseitiges Abstimmen und Zuarbeiten sind für mich oft mühsam. Ich weiß um die Vorteile von Zusammenarbeit, aber im Kleinschrittigen arbeite ich wesentlich lieber selbstständig in meinem eigenen Verantwortungsbereich. Ich arbeite nur nicht gerne alleine. Ich brauche das Gefühl, dass andere im selben Boot sitzen und das stellt sich bei mir am besten ein durch gemeinsames Sitzen im Büro oder der Bibliothek. Die Whatsapp-Gruppe mit Homeoffice-LeidensgenossInnen hilft, aber 1:1 kann sie mir ein oder mehrere physische Gegenüber nicht ersetzen.

Ein anderes Thema, das mich in den letzten Tagen mal wieder verstärkt umtreibt, ist die Sinnhaftigkeit meiner Arbeit. Ich war nie auf die Erziehungswissenschaft festgelegt, habe nach dem Abi mit Bioinformatik begonnen und dann Mathematik und Wirtschaftsmathematik studiert. Bioinformatik ist bis heute ein Fachgebiet, das mich brennend interessiert und in stillen Momenten denke ich mir derzeit „Du könntest jetzt auch bei Herr Drosten im Labor stehen und Viren-Genome sequenzieren.“

Aber die Schulschließungen und der öffentliche Diskurs um Homeschooling, digitale Lehre, etc. tragen zunehmend auch dazu bei, dass ich der Bildungsforschung gewisse gesellschaftliche Bedeutung nicht aberkennen kann. Wie sagte Herr Drosten gestern in seinem Podcast? „Deswegen glaube ich, dass wir so schnell nicht mehr volle Fußballstadien haben werden. Aber dass wir uns relativ bald darauf konzentrieren müssen, Daten zu kriegen, um zu entscheiden, ob man vielleicht die ganze Schule oder auch nur einige Jahrgänge der Schule wieder zulassen kann. Denn das ist ja wirklich wichtig. Es ging mir um diese Unterscheidung, was ist hier eigentlich Spaßfaktor und was ist essenziell wichtig in der Gesellschaft? Worauf kann man sich jetzt fokussieren, wenn man wieder aus diesen Kontaktmaßnahmen raus will?“ Und Konstantin Wecker in seinem Livestream-Konzert am Sonntagabend konstatierte schlicht: „Die Welt reformieren heißt, die Erziehung reformieren.“*

So versuche ich in dieser seltsamen Situation meinen Beitrag zu leisten, indem ich zuhause bleibe, mich mit meinem Homeoffice anfreunde und mich auf meine Forschung konzentriere. Schulische Isolation ist jetzt ein Problem – schulische Segregation (mein Dissertationsthema) wird es im Anschluss wieder sein. Hoffentlich ganz bald. Und hoffentlich überstehen ganz viele Akteure im Bildungssystem die Krise gut und mit neuer Motivation und Ideen für innovative Lehrmethoden, die Kinder fördern und fordern und zu selbstständigen, mündigen, selbstbewussten Bürgern erziehen, die ihrerseits verantwortungsbewusst einen wertvollen Beitrag zu unserem gesellschaftlichen Leben beitragen werden.

* Dieses Zitat stammt gar nicht von Wecker selbst. „Die Welt reformieren heißt, die Erziehung reformieren.“ war das Credo des polnischen Arztes, Pädagogen und Schriftstellers Janusz Korczak, der 1878 in Warschau geboren ist und 1942 im deutschen Vernichtungslager Treblinka vergast wurde.

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