Freitag, 27. März 2020

Isolation, Tag 9: Gärtner-Freude

„Und was machst du so?“ fragen wir uns und berichten in Podcasts, Blogartikeln, Youtube-Vlogs, Instagram-Stories, … Eine angenehme Form des Austausches in der Isolation. In meiner Familie und meinem Freundes- und Bekanntenkreis arbeiten die meisten im Homeoffice – trotzdem bleibt vielen durch den Wegfall von nicht mit der Kontaktsperre zu vereinbarenden Freizeitaktivitäten, Besprechungen, Kongressen, Reisen, oder auch einfach dem täglichen Weg zur Arbeit plötzlich ein gewisses Mehr an freier Zeit, die es zu füllen gibt. Und es ist gar nicht so einfach, dabei keine Leere entstehen zu lassen, die zu viel Raum für trübe Gedanken bietet.

Für Menschen mit psychischen Problemen, denen menschliche Nähe und feste Strukturen im Alltag Halt geben, kann das Zuhausebleiben gerade eine ziemliche Herausforderung darstellen. Eine liebe Freundin hat über Instagram nach Ideen gefragt, wie wir uns beschäftigen. Dabei sind einige schöne Gedanken zusammengekommen. Meine Antwort (und das tat ich schon vor der Isolation gerne): „Pflanzen beim Wachsen zusehen“.

Ich habe wahrlich keinen grünen Daumen und muss gestehen, dass ich auch schon einigen sich in meiner Obhut befindlichen Pflanzen beim Eingehen zugesehen habe. Andere jedoch – die robusten und pflegeleichten unter ihnen – beobachte ich in ihrer Entfaltung ganz genau. Und da ich gerade so viel Zeit habe und so wenig unterwegs bin, nehme ich mir fast mehrmals täglich einen Moment, um den Wachstumsstand der Pflanzen zu registrieren und mich an ihren Veränderungen zu erfreuen.


Die Monstera hat in der letzten Woche nach einer langen Schaffenspause ein fünftes Blatt entfaltet. Zwei Tage brauchte es, um sich aufzurollen, jetzt wird es Tag für Tag ein bisschen dunkler und wird sich farblich sicher bald ganz an die bisherigen vier Blätter angepasst haben.

Die Agave besteht aus zwei Trieben, die an der Wurzel zusammenhängen. Das „Kindl“, im Fachjargon Tochterrosette bzw. Brutknöllchen genannt, hätte ich direkt nach dem Austrieb von der Mutterpflanze trennen müssen. Wusste ich damals leider noch nicht. So wachsen Mutter und Tochter nun dicht an dicht – Reibung ist dabei vorprogrammiert. In letzter Zeit reibt’s sogar ziemlich, das Kindl überragt die Mutter in der Größe, die Mutter beginnt aber die Ellenbogen auszufahren und drückt die Tochterpflanze zur Seite. Ich fürchte, ich muss die Nabelschnur bald doch noch trennen und die beiden mit etwas Abstand oder gleich in zwei Töpfe setzen. Hoffentlich werden sie die späte Trennung gut überstehen.

Die Yuccapalme hatte ich im Herbst letzten Jahres schon fast aufgegeben. Um ein besonders schönes Exemplar handelte es sich von vornherein nicht, aber dem geschenkten Gaul … na ihr wisst schon. In meiner Obhut wurde das Blattwerk dann immer welker und spärlicher. Da ich mich nicht besonders daran störte und im Rahmen des Beobachtens ihres Untergangs mit Interesse auch gewisse sadistische Züge an mir beobachtete, ließ ich sie einfach in der Ecke stehen. Ihre Rettung kam in Gestalt meiner Nachbarin, die sich während einer längeren Abwesenheit meinerseits dazu entschloss, der Palme einen neuen Platz in der Wohnung zu suchen. Diese reagierte unverzüglich dankbar und treibt seitdem wieder gesunde ledrige Blätter aus. Was ein einfacher Wechsel der Perspektive so ausmachen kann! Ganz neu entdeckt habe ich heute die Art des Blattwachstums bei der Yuccapalme. Es wächst hier nämlich erst eine sehr feste, kompakte „Spitze“ die sich dann von oben herab „schält“ und so einzelne Blätter bildet. Ich bin gespannt, wann die aktuelle Spitze erkennbar ein neues Blatt ausgebildet hat.

Am größten ist der Spannungsbogen der Pflanzenbeobachtung aktuell aber beim Blick in meinen provisorischen Selbstversorger-Anzuchtkasten. Aus dem Saatgut-Kalender von einer lieben Freundin habe ich den Januar-Salat, die Februar-Radieschen und die März-Zitronenmelisse ausgesät. Und nach anfänglichem Bangen („Da kommt doch eh nichts.“) konnte ich vorgestern tatsächlich die ersten Salat-Pflänzchen an der Luft willkommen heißen. Erst zwei, dann drei, und dann waren es plötzlich 16 die morgen oder übermorgen dringend „vereinzelt“ werden müssen, da sie teilweise schon an die provisorische Abdeckung des provisorischen Anzuchtkastens stoßen. Heute trieb außerdem das erste Radieschen-Pflänzchen aus, die Spannung, wie viele es morgen sein werden, ist kaum noch auszuhalten.


Ihr seht, die Pflanzen – diese kleinen und großen Wunder der Natur – in ihrem Wachstum genau zu beobachten, bereitet mir momentan eine tiefgründige Freude. Es hilft mir aber auch, den Fokus für einen Moment weg von Sorgen, Ängsten und sonstigen Befindlichkeiten zu lenken und zur Ruhe zu kommen. Und nicht zuletzt natürlich, die Zeit totzuschlagen. Womit wir wieder beim Thema dieses Tagebuchs wären: „Und was macht ihr so?“

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