Montag, 30. März 2020

Isolation, Tag 12: Putzen und Podcasts

„Und was machst du so?“ fragen wir uns und wir teilen unsere Erfahrungen über Messenger, auf Blogs, in Podcasts, in Videos, … Und heute ist meine Antwort „Putzen und Podcasts hören“. Das Schöne daran ist, dass diese beiden Tätigkeiten uneingeschränkt miteinander vereinbar sind. Voraussetzung sind allenfalls gute Kopfhörer und/oder ein geräuscharmer Staubsauger.
Während ich also hochmotiviert meine Wohnung auf den Kopf stelle und den Frühjahrsputz einläute, höre ich in chronologischer Reihenfolge die folgenden Podcasts:

Ich beginne mit Von und zur Hören – der aktuelle und persönliche Podcast von und mit Diana zur Löwen und Felix von der Laden. Diana und Felix sprechen, Überraschung, erstmal über Corona. In ihrer jugendlichen Art verbreiten sie dabei doch einige Unwahrheiten. Und wundern sich darüber, dass jetzt plötzlich Virologen die Entscheidungen treffen und nicht die Politiker, die wir als Volk gewählt haben, um Entscheidungen zu treffen. Ich korrigiere gedanklich: Wissenschaftspolitische Beratungsgremien gibt es in vielen Bereichen, allen voran der Wissenschaftsrat von Bund und Ländern, der bereits 1957 gegründet wurde. Wissenschaftler fungieren aber immer nur als Berater, die Entscheidungen obliegen nach wie vor den PolitikerInnen, die wir gewählt haben. Neu ist aus meiner Sicht die aktuell ungewohnt hohe Präsenz von WissenschaftlerInnen in den Massenmedien, die den Gedanken nahelegt, diese wären die neuen Entscheidungsträger.

Als nächstes höre ich Fiete Gastro – der auch kulinarische Podcast mit Tim Mälzer und Sebastian Merget. Eine Corona-Sonderfolge, zu Gast ist der erste Bürgermeister von Hamburg Peter Tschentscher. Dieser ist übrigens selbst Mediziner mit den Fachgebieten Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin und arbeitete vor seiner Berufung als Senator drei Jahre als Oberarzt am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Um medizinische Fragen geht es im Podcast aber gar nicht (ich habe die Information im Nachhinein bei Wikipedia recherchiert). Der Podcast widmet sich vielmehr der Frage, was die Corona-Krise für Gastronomie und Gastronomen bedeutet. Es geht um große und kleine Pläne, volle Kühlschränke und leere Lagerhäuser, aktuelle Initiativen, Ideen, Solidarität unter Gastronomen und Kunden, aber auch um zukunftsweisende Fragen nach der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung von Gastronomie und der Wertschätzung, die wir ihr, nicht zuletzt finanziell, entgegenbringen.

Der dritte Podcast für heute ist SWR2 Wissen – eine Folge zum Thema „Kinder im Corona-Arrest. Lernen und spielen während der Pandemie“. In diesem Podcast geht es um eine Frage, die ich bislang im öffentlichen Diskurs vermisse. Inwiefern bringen die Schließungen von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zusätzliche Nachteile für Kinder aus schwierigen sozialen Lagen mit sich? Zu Wort kommen unter anderem zwei renommierte Bildungsforscher: Ulrich Trautwein, mein ehemaliger Chef am Hector-Institut für empirische Bildungsforschung in Tübingen sowie Kai Maaz, Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung. Bildungsexperten warnen davor, dass länger andauernde Schulschließungen die ohnehin sehr große soziale Ungleichheit an Bildungschancen in Deutschland noch verschärfen wird. Sie schätzen, dass zur Zeit mindestens 100.000 Schülerinnen und Schüler deutschlandweit komplett vom Unterricht abgeschnitten sind, da sie keine ausreichende Unterstützung der Eltern und/oder keinen ausreichenden Zugang zu technischen Geräten, Lernmaterialien und -plattformen haben. Ihre Leistungsentwicklung könnte in den kommenden Wochen folglich mehr oder weniger stagnieren. Ein Gedanke, der mich selbst in den vergangenen Tagen bereits mehrfach beschäftigte. Helfen könnte der direkte Kontakt von Lehrkräften zu den betroffenen Familien, die Geräte-unabhängige (d. h. z. B. auch über Smartphones realisierbare) Zugänglichkeit zu Lehrmaterial, aber auch spontane Maßnahmen aus der Privatwirtschaft (wie z. B. freier Datenzugang von Mobilfunkanbietern)

Und zuletzt höre ich noch Geil Montag – ein Podcast von und mit Paul Berg und Lasse Kroll, zwei Jungunternehmern, die davon träumen, die Arbeitswelt hin zu mehr Nachhaltigkeit, Selbstbestimmung und Sinnhaftigkeit zu verändern. In einer Corona-Sonderfolge sprechen die beiden mit dem Wirtschaftswissenschaftler Dr. Stephan A. Jansen, der sich der soziologischen Systemtheorie, der Organisations- und Netzwerktheorie und der Kapitalmarkttheorie verschrieben hat. Jansen fordert, die Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht mehr nur überwiegend aus epidemiologischer Perspektive, sondern vermehrt auch aus ökonomischer, ethisch-moralischer und vor allem soziologischer Perspektive zu diskutieren. (Ich hatte in den vergangenen Tagen das Gefühl, dass sich diese Tendenz bereits deutlich abzeichnet.) Die Fragen und Gedanken der Diskutanten sind hochinteressant, ihre Meinungen teile ich aber nur teilweise. So heißt es beispielsweise „Wissenschaft kann nie objektive Wahrheit sein. Wissenschaft ist ein Kommunikationsangebot, etwas anders zu sehen, als man es selber geglaubt hätte oder von den Medien suggeriert bekommt.“ Mein Verständnis von Wissenschaft ist ein etwas anderes. Auch die Forderung, wir müssen „die Normalität der Katastrophe viel intensiver üben“, wie es beispielsweise in Japan in Hinblick auf Erdbeben praktiziert wird, kommt mir etwas seltsam vor. Und die Kritik einer mangelnden Generationengerechtigkeit aktueller politischer Entscheidungen (aka „die Alten werden geschützt und die Jungen tragen die Kosten“) sowie das Fazit, die Wurzel allen Übels sei die Überalterung der Gesellschaft (man blicke nur nach Italien, wo das europäische „Demografie-Problem“ bei der Virus-Ausbreitung am offensichtlichsten sei), und es stünde uns „ein gewaltiger Konflikt zwischen den Generationen“ bevor, würde ich nicht ohne weiteres unterschreiben. Dennoch spricht mich die Herangehensweise an die Frage nach Auswirkungen der Pandemie an: Die methodische Verbindung von soziologischer Gegenwartsdiagnostik und Zukunftsforschung habe ich in einem Uni-Seminar im vergangenen Semester selbst kennen gelernt und fand sie damals bereits hochspannend. Die sich daraus ergebenden Fragen nach „Lösungsproblemen“, d. h. nach Problemen, die in Zukunft aus den gegenwärtig gewählten Lösung entstehen werden, sind immer nur unter Unsicherheit zu beantworten. Eine wissenschaftliche Sichtweise kann diese Unsicherheit aber durchaus nennenswert reduzieren. In einem aktuellen Gutachten der Wirtschaftsweisen werden beispielsweise drei denkbare Szenarien zugrunde gelegt, die sich darin unterscheiden, wie lange und in welchem Ausmaß die einschränkenden Maßnahmen anhalten und wie schnell es zu einer Erholung der Wirtschaft kommen wird.* Basierend auf entsprechenden Annahmen kann dann prognostiziert werden, wie sich die Wirtschaft in diesem und nächsten Jahr entwickeln wird. Der Podcast erklärt, dass solche Prognosen momentan dahingehend eine Herausforderung darstellen, dass der gleichzeitige Stopp von Angebot und Nachfrage eine nie dagewesene Situation fernab der gängigen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten sei.

Am Ende des Tages bescheinigt mir die App heute mehr als 6 Stunden Podcast gehört zu haben. Die Wohnung ist so sauber wie schon lange nicht mehr, ich habe sogar endlich mal hinter dem Bett gesaugt und alle Schubladen und Schränke ausgewischt. Zufrieden lasse ich den Tag mit einem Spaziergang, einem Telefonat mit den Eltern, einem leckeren Abendessen und einer Runde häkeln auf dem Sofa ausklingen und bin gespannt, was die kommende Woche bringen wird.

* Im o. g. Uni-Seminar haben wir uns ebenfalls einer solchen Szenario-Analyse angenähert. Die Frage war hierbei: Wie werden sich Bildungslandschaften in Deutschland in den nächsten 30 Jahren entwickeln? Die Ergebnisse haben wir in Form einer Website aufbereitet, die nach wie vor unter https://ronjakumpe.wixsite.com/bildungslandschaften/faq zu erreichen ist.

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